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Rune

Rune

Titel: Rune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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daß ich derjenige sein mußte, der nachschaute.
    Ich zog mich im Dunkeln rasch, leise und warm an, packte dann alles ein, was ich für ein langes Wochenende benötigen würde; es gab keinen Grund, vorher noch mal zurückzukommen. Der Donnerstag war eh hin, daran gab es keinen Zweifel. Und der Mittwoch hatte ohnehin wie ein Abschlußtag gewirkt.
    Ich kritzelte schnell einen Zettel für Greg, auf dem stand, daß mein Bruder fortgelaufen sei, aber nicht mehr. Ich bat ihn auch, die Nachricht an Phil weiterzureichen. Dann verließ ich das Wohnheim, lief zu meinem Auto mit einem Koffer in einer Hand und einem Haufen Kleider in der anderen.
    Der Wagen war wegen dem Einbruch des Spätherbstes schwieriger zu starten. Schließlich sprang er an, und ich fuhr auf die Autobahn und hielt kurz darauf an einer rund um die Uhr geöffneten Raststätte. Ich tankte das Auto und verschlang einige Pfannkuchen, Eier, Würstchen und Kaffee. Schwer zu sagen, wann ich wieder essen würde.
    Die Einsamkeit der Straße ließ die Entfernung von daheim noch gewaltiger erscheinen, als würde ich von einem Ende der Welt zum andern fahren. Um über den Rand ins Leere zu fallen.
    Ich fühlte keine Erleichterung, als ich in die Abfahrt nach Mount Vernon abbog, denn es lag noch immer eine gute Strecke vor mir. Als ich dem stummen Vorübergleiten der Planken zusah, erinnerte ich mich an jene Unterhaltung mit Aaron im frühen Juli, nach dem Tag, als Rick verschwunden war und der Bulle mich sauer gemacht hatte mit der Andeutung, Rick sei weggelaufen.
    Irgendein Ort, an dem ich allein sein könnte … Die Stadt der Riesen … Erinnerst du dich an die Höhle, die wir gefunden haben?
    Zu dieser Jahreszeit würde er sich vermutlich die Eier abfrieren, aber er war wohl verzweifelt genug, um es zu probieren, wenn er die Höhle nur wieder finden könnte. Und nun die große Frage: Könnte ich sie wiederfinden?
    Ich blieb weitere zermürbende fünfzig Minuten auf der I-57, fuhr dann auf die 13 East nach Carbondale. Dort dann auf die 51 South, die mich zur Abfahrt nach Giant City bringen würde, und von dort an waren Hoffnung und Gebet meine Steuermänner.
    Die Straße zum Park von Giant City verlief an hohen und stattlichen Bäumen entlang, die selbst Tri-Lakes beschämen konnten. Der dicke Morgennebel verschleierte meine Umgebung, und wenn ich in den Rückspiegel blickte, war alles, was ich sah, eine Straße, die vom nebligen Grau verschluckt wurde.
    Ja, hier war ich am Ende der Welt, und sehr bald würde die Straße enden, um mich ins Nichts fallen zu lassen, durch einen ewigen Nebel hinab in die Dunkelheit, dazu verdammt, die Ewigkeit in einem Chevy Malibu zu verbringen. Das ergab soviel Sinn wie alles andere.
    Vor mir zerschnitt ein Flußbett die Straße. Meine Reifen hüpften, als ich über den buckligen Rücken der Brücke fuhr, und ich näherte mich den Besucheranlagen. Zur linken Seite der Straße erstreckte sich eine weite Lichtung, die am Horizont von Hügeln begrenzt wurde. Picknicktische waren hier und da verstreut, und die Gerüste von Kinderspielplätzen lauerten im Nebel wie gewaltige Insekten, wie Gottesanbeterinnen vor dem Angriff.
    Ein einsamer Wagen zeichnete sich im Nebel am anderen Ende der Lichtung ab. Ich war noch zu weit entfernt, um ihn zu erkennen, aber ich wußte intuitiv, wessen Auto das war. Ich schaltete das Licht aus und hielt einige Meter davon entfernt. Als ich Moms Wagen anstarrte, fragte ich mich, ob ich je den richtigen Weg in diese Hügel finden würde. Es könnte Stunden dauern.
    Ich stieg aus und renkte meine Gelenke ein. Der Morgennebel wallte feucht und jagte mir einen Kälteschauer über den Rücken. Ich ging rüber, um ins Auto zu schauen, und meine Turnschuhe ließen Zweige krachen. Ich hatte kaum das richtige Schuhwerk für einen Gewaltmarsch durch die Wälder. Allerdings war das auch überflüssig.
    Die Fenster waren von innen her beschlagen und außen mit Tau benetzt, doch ich konnte Aaron auf dem Rücksitz erkennen, in einer Stellung, die nicht sehr bequem sein konnte. Er war eingehüllt in seinen Schlafsack und eine Decke. Und er sah so jung aus, so unschuldig. Friedlich. Er sollte immer so unbekümmert aussehen, dachte ich verloren. Das sollten wir beide.
    Ich klopfte mit einem Knöchel gegen die Scheibe. Aaron zuckte unter seiner Decke zusammen, und seine Augen öffneten sich weit mit einem Ausdruck von Bestürzung und Schrecken, der so vollständig war, daß ich dachte, er sei sicherlich an den Rand des Wahnsinns

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