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Rune

Rune

Titel: Rune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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aus.
    »Darf ich hereinkommen?« fragte ich.
    Er schluckte und nickte dann, und eine lose Hautfalte an seiner Kehle zitterte. »Ja, bitte.« Er gab die Tür frei, und ich trat ein. Er wich zwei oder drei Schritte zurück, um mich durchzulassen.
    »Nun.« Im Innern hatte ich ihn besser im Blickfeld. Sein Kopf schien dreieckig zu sein, mit einem spitzen Kinn. Seine Augen nahmen die frühere Schärfe wieder an. »Was ist an Geschehnissen von vor fünfzig Jahren so interessant, daß Sie deswegen extra hierher kommen?«
    Und jetzt kommt der schwierige Teil … »Mr. Crighton, ich weiß nicht viel darüber, was damals passiert ist. Ich weiß, was in der Zeitung stand. Und wenn Sie mir schwören, daß das die Wahrheit ist, dann werde ich verschwinden und Sie nie wieder belästigen.«
    Die Furchen in den Wangen, die Falten um die Augen und seinen Mund schienen sich alle auf einmal zu straffen. »Und wenn ich das nicht tue?«
    »Dann werde ich Ihnen einige Dinge erzählen, die sich sehr verrückt anhören werden.«
    Sein Gesicht entspannte sich wieder, und schließlich wurde auch sein Blick freundlicher. »Komm herein«, sagte er und ging voraus ins Wohnzimmer. Zum ersten Mal bemerkte ich, daß er sein linkes Bein nachzog. Das hohle Klicken, das jeden seiner Schritte begleitete, verriet mir, daß das Bein künstlich war. »Setz dich irgendwo hin.«
    Ich wählte das dunkle Sofa mit Schottenmuster. Der Lehnstuhl aus Leder sah wie sein Favorit aus.
    Crighton verschwand um eine Ecke, sprach aber weiter. »Möchtest du etwas trinken?«
    »Nein, danke.«
    »Wie du willst.« Er murmelte einen Moment lang vor sich hin. »Ich habe allerdings das Gefühl, daß das eine Weile dauern wird.«
    Ich hörte laufendes Wasser und das Klirren von Metall und Glas.
    »Chris heißt du?«
    »Genau.«
    »Du siehst aus, als hättest du in letzter Zeit viel durchgemacht. Das konnte ich schon an der Tür sehen.« Er kicherte. »Diesen Gesichtsausdruck sieht man bei vielen College-Studenten um diese Zeit des Semesters – doch die meisten von ihnen laufen nicht in verdreckten Hosen herum.«
    Ich stöhnte. Ich hatte völlig vergessen, sie zu wechseln.
    »Aber das kann mir natürlich egal sein.«
    Ich sah mich im Wohnzimmer um, während ich auf ihn wartete. Es gab die üblichen Dinge, die man überall findet, doch eine ganze Wand war Büchern gewidmet, vom Boden bis zur Decke, sieben Regale voll. Und nicht ein einziges Taschenbuch darunter.
    Eine Minute später stieß Crighton wieder zu mir, wobei er eine Porzellantasse in einer Hand balancierte. Dampf kräuselte sich langsam über der Tasse; er sah mich an und lächelte schwach. »Internationaler Kaffee von General Foods. Ich mag den Schweizer Mokka.« Er nippte ziemlich geräuschvoll daran.
    Ich nickte nur.
    Er starrte für einen Augenblick durch mich hindurch, und seine Augen schienen so fern, als dächte er über ein früheres Leben nach. »Ich wußte, daß eines Tages jemand wie du an meiner Tür stehen würde.« Er setzte die Tasse klirrend auf einem Tisch ab. »Ich glaube, du hast mir eine Geschichte zu erzählen.«
    Ich seufzte. »Ich glaube schon.« Und so erzählte ich. Alles. Ohne Geheimnisse, ohne Zurückhaltung, bereitwilliger noch als bei Shelly am Tag der Arbeit. Und Crighton schenkte mir entweder vollen Glauben, oder er war so verrückt, wie ich manchmal dachte, daß ich es sei.
    Er nickte, und hinter seinen Augen arbeitete es, dort, wo die schmerzlichsten Dinge begraben waren. Crighton war für einen langen Moment still, lehnte sich in seinem Sessel zurück und knetete seine Finger. Er hatte noch etwas Kaffee übrig, aber nicht mehr viel Interesse daran. Sein dreieckiger Kopf war geneigt und wies einen kahlen Fleck auf, der wie eine Kappe aussah.
    Endlich hob er wieder den Kopf und sah mich an. »Ich nehme an, daß du mittlerweile bereitwillig jede Erklärung dafür annimmst, was du durchgemacht hast?«
    »Wenn sie mir sinnvoll erscheint, ja.«
    Er nahm ein großes Taschentuch heraus und schneuzte sich, peilte dann in die Falten, um zu sehen, was dabei herausgekommen war. »Man wird sehen. Aber ich habe jetzt selbst ein oder zwei Geschichten, die ich dir erzählen möchte.« Er legte den Kopf zurück, trank den restlichen Kaffee und rülpste dann leicht. »Chris, weißt du, woher das Wort Berserker kommt?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Crighton setzte sich in seinem Sessel auf und schlüpfte in seine Lehrerrolle, wie ein anderer wohl in eine bequeme Hausjacke geschlüpft wäre. »Es leitet

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