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Rune

Rune

Titel: Rune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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nicht hatte eingestehen wollen. Kein Kopf mehr im Sand der Ausflucht.
    »All die schlimmen Dinge, die uns zugestoßen sind, wurden von diesem Ort verursacht. Ich weiß nicht wie, werde es aber hoffentlich bald herausfinden.« Ich gab ihm eine kurze Zusammenfassung der Dinge, die ich bislang über Joshua Crighton wußte.
    Aaron wiegte seinen Kopf in den Händen. »Warum wir, Chris? Was haben wir so Schlimmes gemacht?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Vielleicht werden wir es nie wissen. Aber jetzt sollten wir einfach nur heimfahren. Du kannst dich hier nicht ewig verstecken.«
    Er fuhr mit einer Hand über sein Gesicht. Da waren keine Stoppeln, denn Aaron mußte sich nur alle drei oder vier Tage rasieren, aber sein Gesicht war ölig, und er runzelte die Stirn. »Ich weiß noch nicht mal, was ich Mom und Dad erzählen soll. Sie werden das alles nicht glauben.«
    »Sag’ ihnen einfach, du hättest Panik bekommen. Das werden sie auf jeden Fall glauben.«
    »Vermutlich.« Seine Stimme war kaum hörbar.
    Wir schwiegen einige Momente lang und hörten die Vögel, die noch nicht in Richtung Süden geflüchtet waren. Ihre Lieder des Morgengrauens schnitten durch die Kathedralenstille. Die Sonne wurde von Minute zu Minute stärker und verbrannte mit ihren schrägen Strahlen den Nebel.
    »Laß uns heimfahren, Aaron, ja?«
    Er hustete und zog seine Jacke enger um sich. »Noch nicht, Chris. Können wir nicht noch ein bißchen bleiben? Einfach gemeinsam hier sitzen?« Sein Gesicht war so traurig und kindlich, daß ich es ihm nicht hätte abschlagen konnte, selbst wenn ich es gewollt hätte. Er hatte Furcht vor allem auf der Welt – außer vor mir, vermutlich.
    »Sicher«, sagte ich schließlich. Ich rückte auf der feuchten, kalten Erde näher heran an ihn, und es war mir egal, daß mein Hosenboden durchnäßt war. Ich legte den Arm um seine Schultern, und er schmiegte sich an mich.
    Wir saßen eine lange Zeit so da und sahen das Heraufdämmern eines neuen Tages. Ängstlich, verwirrt, unsicher. Doch zusammen. Denn die Liebe eines Bruders währt ewig.

35.
     
    Ich brachte Aaron zu Mom und Dad, stammelte einige halbherzige Entschuldigungen, warum ich in den nächsten Stunden nicht da wäre, und fuhr dann nach Belleville. Ich war voller Adrenalin und so genervt vom Fahren, daß ich wohl lieber gelaufen wäre, wenn die Zeit gereicht hätte. Auf dem Weg aus der Stadt rief ich Shelly aus einer Telefonzelle an, brachte sie auf den neuesten Stand und erzählte, was nun bevorstand. Sie gab mir ihren Segen. Und dazu, sagte sie, ihre Bewunderung.
    In Belleville hielt ich an einer Tankstelle mit rußigen Fenstern und einem rostigen Schild, das einsam vor sich hinquietschte. Joshua Crightons Adresse zu finden und meine Befürchtungen zu zerstreuen, er könnte vielleicht gar nicht mehr am Leben sein, kostete mich nicht mehr Mühe, als in einem Telefonbuch nachzuschauen.
    Er lebte im zweiten Stock eines Miethauses in der South Church Street. Ich mußte eine Treppe vorbei an Mülltonnen aus Plastik hochsteigen, um an seine Tür zu kommen. Am Ende des Ganges lag eine lohfarbene Katze auf dem Fensterrahmen und beäugte mich mit mäßigem Interesse.
    Und dann fing mein Magen an zu rumoren. Ich wußte noch immer nicht, was ich sagen sollte.
    Ich klopfte und wollte es schon ein zweites Mal tun, als die Tür sich öffnete. Er stand in der Gittertür, ungefähr meine Größe, aber breiter. Seine Schultern standen vor, hingen aber nicht, sein weißes Haar dünnte aus, war aber noch nicht ganz verschwunden. Seine Augen schauten scharf, klar und offen. Und heimgesucht? Vielleicht. Ich kannte diesen Blick mittlerweile.
    Er sagte nichts. Ich war an der Reihe: »Mr. Crighton?«
    Er nickte einmal.
    »Mein Name ist Chris Anderson. Ich … ich muß mit Ihnen über eine Sache sprechen, die vor langer Zeit passiert ist.«
    Sein Blick wurde nicht freundlicher. »Brauchen Sie Hilfe bei einem Referat? Dann lesen Sie ein Buch.« Sein Hand schloß sich um den Türknauf.
    »Nein, nein, es ist nichts dergleichen. Ich möchte mit Ihnen über einen Ort sprechen, an dem Sie früher gelebt haben.« Ich konnte die Bombe ebensogut gleich hochgehen lassen. »Ich komme aus Mount Vernon. Und ich weiß, daß Sie mal ein paar Meilen nördlich der Stadt gewohnt haben.«
    Das hatte er eindeutig nicht erwartet. Sein Mund öffnete sich leicht. Die Hand ließ ab vom Türknauf und traf gegen sein Bein. Der Blick hatte sich gewandelt; er sah jetzt fast bestürzt

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