Runen
Geheimnisse dieser enormen Kräfte von Óðinn und Þór zu lüften. Er gelobte unserem Führer, die Technologie erneut zu entwickeln, die Þórs Hammer zugrunde liegt: eine machtvolle elektrische Geheimwaffe, die dem deutschen Volk den Endsieg im Krieg sichern wird. Die geheime Aufgabe, die der Reichsführer- SS mir zuteilte, besteht darin, alte Runentexte ausfindig zu machen, die den Weg zu dem geheimnisvollen Lebensbrunnen weisen, in dem den Eddaliedern zufolge das Wissen der Vorväter bewahrt ist. Ursprünglich wurden diese Runentexte in drei Runensteine geritzt, denen zusammen der Name Gotatýrs Runenlied gegeben wurde. Von Generation zu Generation wurden diese Steine als Heiligtümer an geweihten Orten gehütet und weitergegeben. Der Reichsführer- SS verfügt aber auch über Hinweise, nach denen das Runenlied zudem auf Pergament festgehalten wurde, und zwar in etwa um die Zeit, als die Isländer im beginnenden 10. Jahrhundert die Gründung der Versammlung aller Freien vorbereiteten. Wahrscheinlich wurde diese Pergamenthandschrift mehr als eintausend Jahre lang an einem geheimen Ort in der Bibliothek eines Mönchsklosters hoch oben in den Bergen von Montserrat in Katalonien aufbewahrt. Nachfragen von Ahnenerbe diesbezüglich haben keinen Erfolg gebracht, da der Abt des Klosters verneint, von so einem Manuskript oder von Runen überhaupt etwas zu wissen. Meine Aufgabe ist es, mich einige Wochen oder Monate in
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dem Kloster aufzuhalten, das Runenlied zu finden und es abzuschreiben oder gegebenenfalls auch zu entwenden.
Als Himmler dem jungen Runenexperten 1940 diese besondere Aufgabe anvertraute, hatte Höskuldur eben seinen 23. Geburtstag gefeiert. Die Führungsspitze der deutschen Nationalsozialisten Hitler, Göring und Himmler hatten mit militärischer Gewalt die meisten Nachbarländer Deutschlands annektiert: Österreich, die Tschechoslowakei, Polen, Dänemark, Norwegen, Holland, Belgien und Frankreich. Sie waren Europas Kriegsherren.
Einige Wochen später, im Oktober 1940, reisten Hitler und Himmler mit einer Entourage uniformierter SS-Leute nach Spanien. Hitler begab sich ins baskische Hafenstädtchen Hendaye, um sich dort mit dem spanischen Diktator Francisco Franco zu treffen; mit jenem General, der mit Unterstützung der Deutschen und Italiener die spanische Demokratie zu Tode gebracht hatte, während sich die Engländer und Amerikaner noch heraushielten. Himmler fuhr nach Barcelona, wo er dem Polizeichef der Stadt erklärte, mit welchen Methoden die Gestapo die eiserne Disziplin in deutschen Städten und Dörfern aufrechterhielt. Der Reichsführer-SS logierte mit einer vielköpfigen Begleitgruppe im Ritz, dem berühmtesten Hotel der Stadt, traf spanische Militärs und machte sich für einen knappen Tag frei, um das Kloster auf dem Montserrat zu besuchen. Höskuldur wurde dort zurückgelassen.
Die Mönche bringen den Gipfeln, die wie eine Reihe steinerner Finger hoch in den Himmel greifen, vielfache Verehrung entgegen. Mich erinnern die Gipfel an die heiligen Götterfelsen im Teutoburger Wald. Ich habe hier nur einen Mann angetroffen, der die deutsche Sprache spricht. Er
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heißt Ripol. Wegen der Gebetszeiten und anderen Klosterpflichten hat er nur wenig Zeit, aber er hat mir dennoch die Bibliothek gezeigt. Sie befindet sich in teilweise dunklen, verwinkelten und engen Gängen unter dem Kloster und der Kapelle. Weder er noch die anderen Mönche, die er für mich befragt hat, wissen etwas davon, dass ein Runengedicht in der Bibliothek aufbewahrt sein soll. Sie lesen nur Bücher in Latein. Einige von ihnen halten Runen für Zeichen des gefallenen Engels Luzifer. Deshalb sei es schon fast Gotteslästerung, sie auch nur anzublicken. Um mich körperlich in Form zu halten, habe ich am Sonntag eine Bergwanderung unternommen, wie ich es mir als Junge zu Hause in Island angewöhnt habe. Ich fürchte, die Suche nach Gotatýrs Runenlied wird zeitaufwendig und beschwerlich.
Melkorka sah Beinteinn fragend an: »Weswegen nennt Opa diese Felsen Götterfelsen?«
»Offensichtlich betrachtete Höskuldur die Externsteine als den heidnischen Göttern geweiht, Óðinn und den anderen. Die sächsischen Felsgipfel zählten über Tausende von Jahren immer wieder zu den heiligen Orten verschiedener religiöser Kulte.«
Drei Wochen sind vergangen. Mein Leben im Kloster hat einen festen Rhythmus angenommen. Ich erwache um sechs Uhr morgens, wenn die Glocken zum Morgengebet rufen. Ich ertüchtige meinen Körper im
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