Runen
ganzen Welt verbrennen Tag für Tag in so einem Feuer.«
»Soll das eine Drohung sein?«
»Es ist lediglich die Darstellung der Wahrheit menschlicher Existenz. Gold ist Gott. Und ich bin Gold.«
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Melkorka hielt dem Blick des kanadischen Milliardärs entschlossen stand: »Das Komische an Drohungen ist, dass sie meist genau andersherum auf mich wirken. Sie bringen mich in Rage.«
Beide fixierten sich eine gute Weile mit unbewegten Mienen.
»Aber weswegen sollten wir uns denn streiten, da wir ja eigentlich gemeinsame Interessen zu verteidigen haben«, brach John Ramstein Melville das Schweigen schließlich mit einem missglückten Lächeln.
»Was für Interessen?«
»Für die weitere Unterhaltung ist absolute Verschwiegenheit die unbedingte Voraussetzung.«
»Das kann ich ohne weiteres zusichern.«
»Und Ihre Freundin?«
»Ich bin gar nicht hier«, erwiderte Erna.
Melville fuhr seinen Rollstuhl näher an den großen Flatscreen auf dem Wohnzimmertisch heran.
»Ihr Bericht über die jahrelange Suche Ihres Großvaters nach dem Brunnen des Lebens und der Weisheit der germanischen Götter hat mich sofort fasziniert«, begann Melville. »Ich kann zu den Gründen dafür nicht mehr sagen. Mir erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass mein körperlicher Zustand mit dazu beigetragen hat. Ich kann |332| Ihnen versichern, dass eine Querschnittslähmung ein ausreichender Grund ist, an Wunder glauben zu wollen.«
Melkorka nickte.
»Dass Ihr Großvater die einstigen Gefilde der germanischen Götter in unterirdischen Räumen unter Þingvellir vermutete, hielt ich zuerst für blanken Unsinn. Aber dann entschloss ich mich dennoch, der Sache buchstäblich auf den Grund zu gehen. Meine Verbündeten südlich der kanadischen Grenze haben einen Satelliten zur Verfügung, der weit in die Erdkruste hineinsehen kann. Sie haben diese Technik unter anderem dafür verwendet, um die Höhlen in den Bergen von Tora Bora in Afghanistan ausfindig zu machen, als sie vor einiger Zeit nach Osama Bin Laden suchten. Dann richteten sie in meinem Auftrag die Kameras der Satelliten schließlich auf die Unterwelt von Þingvellir, und hier sehen Sie das Ergebnis.«
Melkorka blickte wieder auf den großen, länglichen Flachbildschirm.
»Was bedeuten diese roten Streifen?«
»Das sind Lavahöhlen unter Þingvellir.«
»Und dieser dicke rote Klecks da?«
»Das bedeutet, so sagen meine Experten, dass sich dort eine enorme unterirdische Höhlung befindet.«
»Ja, diese Höhlung zieht sich ein ganzes Stück unter Þingvellir hin«, fügte Alan Sexton hinzu. »Die Messungen haben ergeben, dass sie etwa einen Quadratkilometer ausmacht.«
»Was, einen Quadratkilometer?«, fragte Melkorka überrascht.
»Ja. Da unten gibt es hübsch ausgedehnte Weiten unter der Erdoberfläche.«
|333| Am Nordende der rotmarkierten Fläche war ein kreisförmiger grüner Fleck eingezeichnet.
Melkorka zeigte darauf: »Was ist das?«
»Anzeichen von unterirdischem Wärmefluss«, erklärte Sexton. »Könnte ein Geysir sein oder sonst eine heiße Quelle.«
»Wir haben auch ein besonderes Interesse an einer Lavahöhle, die sich nach Süden in den Untergrund hinzieht«, nahm Melville den Faden wieder auf.
»Wieso das?«
»Diese Höhle, oder genauer, der Lavatunnel reicht bis unter den See. Er beginnt unweit dieser Insel hier.« Sexton deutete auf die Karte.
»Sie heißt Sandey, ein alter Vulkan, der vor ungefähr dreitausend Jahren ausgebrochen ist«, sagte Melkorka.
»Hat euer komisches Land eigentlich mehr zu bieten als verschieden alte Vulkankrater an allen Ecken und Enden?«, fragte Sexton, ohne eine Antwort zu erwarten.
»Was ist mit dieser Höhle?«, lenkte Melkorka die Aufmerksamkeit wieder auf die rotmarkierte Fläche. »Kommt man da irgendwo rein?«
»Jetzt ist die Höhle offen«, erklärte Melville.
»Wie ›jetzt‹?«
»Wir haben die letzten Tage schön langsam und geräuschlos die Sedimentschichten abgesaugt, die sich im Laufe der Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende vor dem Höhleneingang angesammelt haben. Dieser Arbeitsschritt ist heute am frühen Abend abgeschlossen worden«, erklärte Sexton.
Melkorka sah Melville gespannt an.
»Sie glauben also, dass das
Undirheimar
, die mythologischen |334| Unterwelten sind, von denen Gotatýrs Runenlied berichtet und die mein Großvater gesucht hat?«
»Das hoffe ich.«
»Wann wollen Sie einen Tauchgang in den Tunnel unternehmen?«
»Meine Jungs werden morgen früh hinuntertauchen und
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