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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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gehen«, sagte er statt ihre Frage zu beantworten. »Wir haben noch einen ziemlich weiten Weg vor
uns.«
Gwinneth nickte und richtete sich ein wenig auf, aber sie
erhob sich nicht ganz, sondern beugte sich im Gegenteil
über ihn und schlang die Arme um seinen Hals.
»Das werden wir«, sagte sie, »nur jetzt noch nicht. Ich
finde, dieser Ort ist einfach zu schön, um ihn unverrichteter Dinge zu verlassen.«
»Unverrichteter Dinge?« Lancelot blinzelte. »Was
meinst du damit?«
Gwinneth lachte. Ihr Gesicht kam näher und dann versiegelte sie seine Lippen mit einem Kuss und machte es
ihm so unmöglich, eine weitere Frage zu stellen.
Sie wäre auch überflüssig gewesen.
    Der Himmel war aufgeklart, als sie die Höhle verließen,
und es war nicht mehr annähernd so kalt wie auf dem Weg
nach unten. Auch der Wind hatte spürbar nachgelassen
und wehte zwar noch immer eisig vom Meer her, versuchte aber nicht mehr mit aller Kraft, sie von dem schmalen
Sims hinunterzureißen, dem sie wieder hinauf zur Burg
folgten. Trotzdem – und obwohl sowohl Lancelot als auch
Gwinneth nun um die Anwesenheit einer unsichtbaren,
behütenden Macht wussten – bewegten sie sich mit äußerster Vorsicht, eng mit den Rücken gegen den rauen Fels
gepresst und immer erst sicheren Halt auf dem vereisten
Stein suchend, ehe sie den nächsten Schritt in Angriff
nahmen. Sie brauchten deutlich länger für den Weg nach
oben als vorhin für den nach unten und sie mussten sich
wohl auch länger in Merlins Höhle und am Ufer des Sees
aufgehalten haben, als Lancelot bisher bewusst gewesen
war, denn die Sonne stand schon fast im Zenit, als sie sich
dem kleinen Schlupftor auf der rückwärtigen Seite Tintagels näherten.
    Dort erwartete sie eine unangenehme Überraschung. Das
Tor war verschlossen. Das Stück Holz, das Lancelot in die
Öffnung geklemmt hatte, war verschwunden und jemand
musste wohl auch den Riegel von innen vorgelegt haben,
denn die Tür rührte sich nicht, obwohl er mit aller Kraft
daran zerrte.
    Niedergeschlagen und wütend zugleich trat Lancelot einen Schritt zurück, legte den Kopf in den Nacken und
suchte die scheinbar himmelhoch aufragende Mauer der
Burg mit Blicken ab. Er sah nur grauen Stein, Eis und
Schnee, die sich in Fensteröffnungen und Ritzen niedergelassen hatten, und obwohl der Sturm momentan Atem für
einen weiteren Angriff holte und es fast völlig still war,
ersparte er es sich, zu rufen.
    »Das verstehe ich nicht«, sagte Gwinneth. »Wer kann
bloß die Tür hinter uns geschlossen haben?«
»Keine Ahnung«, grollte Lancelot. Er trat wütend mit
dem Fuß gegen die Tür – mit dem einzigen Ergebnis, dass
er sich die Zehen prellte – und drehte sich noch wütender
herum und musterte mit finsteren Blicken den schmalen
Pfad, der an der Mauer entlangführte. Er war erschöpft,
durchgefroren bis auf die Knochen und so verärgert, dass
er sich mit aller Macht beherrschen musste, um seinen
Zorn nicht an Gwinneth auszulassen, aber aller Ärger
nutzte ja nichts: So wie es aussah, blieb ihnen nichts anderes übrig, als dem Pfad zu folgen und Tintagel einmal
ganz zu umrunden.
Gwinneth, die seine Gefühle zu spüren schien, sagte vorsichtshalber nichts, sondern machte sich wortlos auf den
Weg und nach einem letzten wütenden Blick auf die verschlossene Tür folgte ihr Lancelot.
Die Sonne hatte den Zenit endgültig erreicht und vielleicht sogar schon ein kleines Stückchen mehr überschritten, als sie Tintagel weit genug umrundet hatten, um endlich das Haupttor sehen zu können. Lancelots Laune sank
noch weiter, als ihm klar wurde, dass vor ihnen noch ein
gehöriges Stück Kletterei über vereiste Felsen und durch
Schneewehen lag, und dann mindestens eine Viertelmeile
Fußmarsch den steil ansteigenden Pfad zum Haupttor hinauf. Irgendwo oben hinter den Zinnen glaubte er den
Schatten eines Mannes zu erkennen, aber er gab immer
noch keinen Laut von sich. Er würde schon noch herauszufinden, wer das Tor hinter ihnen verriegelt und ihnen
diesen ganz und gar überflüssigen und alles andere als
erquickenden Spaziergang damit eingebrockt hatte – und
dann konnte sich der Kerl auf ein paar muntere Worte
freuen! Auch Gwinneth seufzte tief, machte sich aber ansonsten klaglos daran, über die spitzen Felsen und Steine
hinwegzuklettern und den Aufstieg zum Tor zu beginnen.
Lancelot folgte ihr wortlos, doch es blieb ihm dabei
nicht verborgen, wie sehr Gwinneth unter der Kälte und
Anstrengung

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