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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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»Dann dürfen unsere Kleider eben nicht nass
werden«, stellte sie fest.
Noch bevor Lancelot wirklich begriff, was sie damit
meinte, streifte sie ihren Mantel ab, schlüpfte aus ihrem
Kleid und trat ohne auch nur noch einen Moment zu zögern ins Wasser hinein. Schon nach wenigen Schritten
reichte es ihr bis zur Hüfte, dann bis zu den Schultern. Sie
blieb stehen und sah zu ihm hoch. »Das Wasser ist wunderbar, wie ein warmer See im Frühling. Komm schon,
oder traust du dich nicht?«
Die ehrliche Antwort wäre ein ganz klares »Nein« gewesen, aber dazu fehlte ihm erst recht der Mut. Lancelot zögerte nur noch einen kurzen Moment, dann legte auch er
seine Kleider ab und trat dicht neben Gwinneth ins Wasser. Sie hatte nicht übertrieben. Es war warm und es fühlte
sich unglaublich gut auf der Haut an; als würde man von
tausend unsichtbaren Händen überall zugleich gestreichelt.
Und es war nicht nur die Wärme, die wohl tat. Zugleich
schien die bloße Berührung dieses verzauberten Wassers
jede Furcht und jeden Schmerz von ihm zu nehmen. Es
gelang ihm nicht mehr, wirklich zornig auf Gwinneth zu
sein. Was sie vorhatte, erschien ihm noch immer viel zu
gefährlich und leichtsinnig, aber er konnte ihr nicht mehr
zürnen – als wäre er gar nicht mehr in der Lage, ein solches Gefühl zu empfinden. Fast ohne sein Zutun erwiderte
er Gwinneths Lächeln, stieß sich ab und begann mit kräftigen, gleichmäßigen Zügen neben ihr herzuschwimmen.
Das Gefühl des Behütetseins und der Sicherheit verstärkte sich, je näher sie der kristallenen Blüte im Herzen des
Sees kamen. Hier, genau wie in der Höhle unter der
schwarzen Festung Malagon, spürte Lancelot die ungeheure magische Macht, die in diesen Kristallen schlummerte,
mit fast körperlicher Intensität, und doch gab es einen gewaltigen Unterschied. Die Kristalle im Herzen Malagons
hatten eine kalte, bedrohliche Macht ausgestrahlt, eine
Magie, die jeden, der ihr zu nahe kam und nicht damit
umzugehen wusste, vernichten würde.
Die Macht, die er hier spürte, war das genaue Gegenteil.
Eine unendlich sanftmütige, schützende Aura, die keine
Furcht und keinen schlechten Gedanken zuließ.
Die leuchtenden Kristallgebilde übten eine geradezu
magische Anziehungskraft auf ihn aus und er musste sich
beherrschen, um weiter neben Gwinneth her – und nicht
direkt darauf zuzuschwimmen. Ganz ohne Zweifel erging
es ihr nicht anders, denn sie sah immer öfter in Richtung
der leuchtenden gläsernen Blume. Auch änderte sie immer
wieder leicht die Richtung, kehrte dann aber wieder auf
ihren ursprünglichen Kurs zurück, als Lancelot stur weiter
geradeaus schwamm. Warum er das tat, konnte er selbst
nicht genau sagen, denn er sehnte sich fast nach nichts
mehr als danach, dieses wunderschöne Gebilde zu berühren, die leuchtende Magie mit Händen zu betasten und
vielleicht ein Teil von ihr zu werden.
Dennoch blieb er weiter auf Kurs, bis sie die Mitte des
Sees hinter sich gebracht hatten und sich dem gegenüberliegenden Ufer näherten, und schließlich spürte er wieder
festen Boden unter den Füßen. Rasch richtete er sich auf,
trat aus dem Wasser und wollte Gwinneth ans Ufer helfen,
aber sie ignorierte seine ausgestreckte Hand und trat mit
einer so kraftvollen und eleganten Bewegung aus dem
Wasser heraus, dass Lancelot überrascht die Brauen zusammenzog. Erst dann wurde ihm klar, dass Gwinneth
seine Hilfe nicht etwa ignoriert hatte, um ihn vor den Kopf
zu stoßen. Sie brauchte sie nicht. So wenig wie er irgendeine Hilfe benötigt hätte.
Obwohl sie gerade eine Strecke von sicherlich fünfzig
Metern geschwommen waren, fühlte sich Lancelot so ausgeruht und frisch wie schon seit langer Zeit nicht mehr.
Die Anstrengung, den See zu durchschwimmen, hatte ihn
keine Kraft gekostet, sondern schien ihn im Gegenteil mit
neuer Energie zu erfüllen – und auch einer Zuversicht, die
er allzu lange vermisst hatte. Gwinneth schien es ganz
genauso zu ergehen, denn sie warf mit einem hellen Lachen den Kopf zurück und eilte leichtfüßig über den feinkörnigen Kies, der den schmalen Strand bedeckte, auf das
große Eisentor zu.
Und noch etwas: Gwinneth war ihm noch nie so schön
und strahlend vorgekommen wie in diesem Moment.
Das Bad im verzauberten See hatte ihr nicht nur körperliche Kraft verliehen.
Lancelot verwendete gute zwei oder drei Minuten darauf, einfach still dazustehen und sie zu bewundern, erst
dann löste er sich aus seiner Erstarrung und

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