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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Gwinneth gesprochen, sondern hatte nur einem herbeigeeilten Diener die Zügel des Einhorns in die Hand
gedrückt und war dann zu Sean hinauf auf die Wehrmauer
geeilt, um ihm von seinem Gespräch mit Artus zu berichten. Auf Lancelots Befehl hin hatte Patrick kurz darauf die
gesamten Bewohner Tintagels zusammengerufen und
Lancelot hatte ihnen offen und ohne Schönfärberei erklärt,
was ihnen bevorstand, und es danach jedem freigestellt, zu
gehen und sein Leben zu retten.
Nicht einer hatte die Burg verlassen.
    Und nicht eines von Lancelots zahlreichen stummen Gebeten wurde erhört.
Als die Frist verstrichen war, begannen sich die Schatten
unter ihnen im Tal zu bewegen. Es war mittlerweile fast
vollkommen dunkel geworden, sodass sie nur eine gewaltige finstere Masse erkannten, in der zahllose winzige rote
Glutfunken glommen – die Feuer, die die Männer entzündet hatten, um sich vor der Kälte der hereinbrechenden
Nacht zu schützen – und die von einer vagen, im Einzelnen nicht wahrnehmbaren Bewegung erfüllt zu sein
schien. Doch etwas in dieser Bewegung änderte sich, aus
dem brodelnden Hin und Her, das bei aller Unruhe in keine bestimmte Richtung führte, wurde ein düsteres Gleiten,
als wäre die Nacht selbst unter ihnen in Bewegung geraten
und kröche nun langsam den Hang hinauf.
Gleichzeitig hob ein sonderbares, fernes Geräusch an:
Etwas wie der Laut von Wind, der über das Blätterdach
eines weit entfernten, dichten Waldes strich, dann wurde
es zu einem Rauschen und schließlich zu einem Pfeifen
und Heulen, und zu der Dunkelheit am Boden unter ihnen
gesellte sich ein zweiter, rauchiger Schatten, der von der
Erde aufstieg und rasch das Firmament zu verdunkeln begann wie ein gewaltiger Vogelschwarm, der im Schlaf
aufgeschreckt war und nun hochstob.
Nur dass es keine Vögel waren.
Lancelot wich einen halben Schritt zur Seite und presste
sich mit dem Rücken gegen den kalten Stein der Zinne
und auch die übrigen Verteidiger taten es ihm gleich; die,
die keinen massiven Stein vor sich hatten, kauerten sich
auf dem Wehrgang zusammen und duckten sich unter ihre
Schilde, und dann war der Schatten heran und zerfiel zu
Hunderten, wenn nicht Tausenden schlanker gefiederter
Todesboten, die auf den Wehrgang herunterprasselten
oder in den Hof stürzten. Die meisten Pfeile waren mit
unheimlicher Präzision gezielt, etliche gingen aber auch
fehl und einige der Geschosse flogen so weit, dass sie
klappernd an der Wand des Haupthauses auf der anderen
Seite des Hofes zerbrachen oder auch die Fenster zerschlugen.
Soweit Lancelot es beurteilen konnte, hatte diese erste
Salve nicht ein einziges Opfer gefordert, denn die Männer
waren rechtzeitig in Deckung gegangen und unten auf dem
Hof war niemand mehr; dessen ungeachtet lief ihm ein
eisiger Schauer über den Rücken. Artus’ Bogenschützen
mochten zwar in vorderster Reihe stehen, aber sie befanden sich trotzdem unten am Fuße des Hügels, gute fünfzig
Meter unter und mindestens zweihundert Meter von ihnen
entfernt, und trotzdem hätte schon diese erste Salve die
Hälfte der Verteidiger von den Zinnen gefegt, hätte Lancelot nicht gewusst, was kommen würde, und die Männer
rechtzeitig gewarnt. Er wusste aus eigener Erfahrung, welche enorme Reichweite und Durchschlagskraft die englischen Langbogen hatten, aber er hatte noch niemals zuvor
auf der Seite derer gestanden, auf die mit diesen Waffen geschossen wurde.
»Bleibt unten!«, rief Sean, der sich ebenso wie Lancelot
in den toten Winkel unter der Zinne gekauert hatte.
»Bleibt in Deckung!«
Seine Warnung war nicht überflüssig. Das unheimliche
Rauschen hob erneut an und schon im nächsten Augenblick prasselte eine neue Pfeilsalve auf sie herab. Diesmal
traf mindestens eines der tödlichen Geschosse sein Ziel.
Lancelot beobachtete entsetzt, wie nur wenige Meter von
ihm entfernt ein mehr als armlanger Pfeil senkrecht vom
Himmel herabstürzte und sowohl den dünnen, aus Weidenzweigen geflochtenen Schild eines seiner Männer als
auch dessen Brustkorb durchbohrte. Irgendwo auf der anderen Seite des Wehrganges erscholl ein gellender Schrei,
der von einem zweiten Treffer kündete.
»Unten bleiben!«, schrie Sean. Trotz allem war es so unheimlich still auf der Mauer, dass seine Worte überall in
der Burg gehört werden mussten. »Kriecht in den toten
Winkel! Und kauert euch zusammen!«
Trotz dieser Worte wartete er kaum ab, bis der letzte
Pfeil vom Himmel gestürzt war, bevor er

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