Runenschild
Gestank von verbrannter Haut wahrzunehmen, dann kippte der Kessel weiter
nach vorne und entlud seine tödliche Last in die Tiefe.
Ein Chor gellender Schmerzensschreie begann sich in
das Kampfgeschrei der Angreifer zu mischen, Schreie, die
so hoch und spitz und so voll unerträglicher Qual waren,
dass sich etwas in Lancelot zusammenkrümmte und er für
einen winzigen Moment nichts anderes wollte, als aufzuspringen und davonzurennen, nur weg, fort von diesem
schrecklichen Ort, an dem Menschen einander das
Schlimmste antaten, was sie nur konnten. Und dieser Chor
wurde lauter, als an anderen Stellen der Mauer weitere
Kessel voll siedendem Öl ausgeschüttet wurden. Gleichzeitig aber erschienen weitere Leitern über der Mauer und
irgendetwas prallte tief unter ihnen mit einem dumpfen,
vibrierenden Schlag gegen das Tor.
»Jetzt gilt es!«, schrie Sean. In einer unvorstellbaren
Kraftanstrengung riss er den leeren Ölkessel in die Höhe
und schleuderte ihn ebenfalls über die Mauer.
Lancelot sah, dass seine Hände blutig waren und Fetzen
seiner verbrannten Haut an dem gusseisernen Kessel kleben blieben, aber das schien Sean nicht einmal zu spüren.
Mit einem schrillen, weithin hörbaren Lachen riss er das
Schwert aus dem Gürtel und warf sich dem ersten Angreifer entgegen, der vor ihm auf der Leiter erschien.
Und statt herumzufahren und zu flüchten, sprang auch
Lancelot auf und zog seine Waffe.
Was folgte, war ein Albtraum. Ganz gleich, wie viele
Opfer das siedende Öl gefordert haben mochte, es waren
viel zu wenige gewesen, um den Ansturm nennenswert
aufhalten zu können. Plötzlich schienen Dutzende, ja
scheinbar Hunderte von Leitern gleichzeitig auf die Mauerkronen zu knallen und auf jeder einzelnen tauchte ein
Mann auf, der eine Waffe schwang und auf den Wehrgang
hinaufzuklettern versuchte.
Nur die allerwenigsten Angreifer schafften es, auch nur
einen Fuß in die Burg zu setzen. Neben ihm führte Sean
einen wütenden, beidhändig geführten Hieb, der seinen
unglückseligen Gegner nicht nur enthauptete, sondern
auch noch die Sprosse zersplittern ließ, über der sein Kopf
aufgetaucht war, dann ließ der Ire das Schwert fallen,
packte die Leiter und drehte sie in einem einzigen harten
Ruck um, und auch Lancelot sah sich plötzlich von zwei
Männern zugleich attackiert, die scheinbar aus dem Nichts
aufgetaucht waren.
Er stieß dem ersten das Runenschwert in die Brust und
parierte den Angriff des zweiten mit einem so wuchtigen
Schildstoß, dass dem Mann die Waffe aus der Hand geprellt wurde und er mit haltlos rudernden Armen nach
hinten stolperte. Lancelot versetzte ihm einen Tritt, der ihn
endgültig aus dem Gleichgewicht brachte und schreiend in
den Burghof hinunterstürzen ließ, fuhr herum und erkannte zu spät einen weiteren Mann, der mit einer kraftvollen
Bewegung über die Zinnen flankte und gleichzeitig mit
dem Schwert nach seinem Kopf schlug. Sein hastig hochgerissener Schild kam zu spät. Die Klinge prallte mit entsetzlicher Wucht gegen Lancelots Helm. Der von Menschenhand geschmiedete Stahl vermochte die magische
Rüstung nicht zu durchdringen, doch die bloße Wucht des
Hiebes schleuderte Lancelot nach hinten und zu Boden.
Der Krieger schrie triumphierend auf, sprang über ihn und
packte das Schwert mit beiden Händen, um es senkrecht
nach unten und in seine Brust zu stoßen.
Die Spitze wäre zweifellos von der Rüstung abgeprallt,
aber der Mann legte all seine Kraft und sein ganzes Körpergewicht in den Angriff, und vermutlich hätte die Wucht
des Hiebs genügt, um ihm ein paar Rippen zu brechen, ihn
vielleicht sogar wirklich schwer zu verletzen. Lancelot
versuchte sein Schwert in die Höhe zu reißen, doch auch
diese Bewegung kam zu spät und plötzlich war Sean über
ihm. Der irische Riese schlug das Schwert des Angreifers
im buchstäblich allerletzten Moment beiseite, sodass die
Spitze der Klinge Funken sprühend über den Stein neben
Lancelot schrammte, packte den Mann mit beiden Händen
und schleuderte ihn über die Zinnen. Noch während der
Mann schreiend in der Tiefe verschwand, fuhr Sean herum
und streckte Lancelot die Hand entgegen um ihm aufzuhelfen.
»Gib ein wenig auf dich Acht, mein kleiner Held«, sagte
er grinsend. »Eine unzerstörbare Rüstung allein macht
dich nicht unverwundbar.«
Lancelot verzichtete vorsichtshalber auf eine Antwort,
hob sein Schwert auf und hielt nach einem weiteren Angreifer Ausschau.
Er musste nicht lange suchen.
Weitere Kostenlose Bücher