Runenschild
des winzigen roten Auges hinter dem Fenster
dort oben diesmal anders war.
Dann erscholl ein helles Sirren und plötzlich wehte ein
gellender Schrei von der Turmspitze zu ihnen herab. Das
zitternde rote Glutauge hinter dem Fenster erlosch.
»Verdammt!«, presste Sean hervor. »Sie schießen noch
besser, als ich befürchtet habe.« Er blickte einen Moment
lang wütend zu dem jetzt leeren Fenster des Aussichtsturmes hinauf, dann schürzte er grimmig die Lippen und
machte Anstalten, sich hinter seiner Deckung zu erheben,
um selbst einen Blick nach unten zu werfen.
Lancelot kam ihm zuvor. Er versicherte sich mit einer
raschen Bewegung, dass sein Helmvisier auch zuverlässig
geschlossen war, hob zusätzlich den Schild vors Gesicht
und richtete sich hinter den Zinnen auf. Er hatte sich noch
nicht einmal weit genug vorgebeugt, um die Angreifer
unten auf dem Felsenpfad sehen zu können, da schlugen
drei oder vier Pfeile gleichzeitig gegen seinen Schild. Sie
alle zerbrachen, ohne seinem magischen Schutz auch nur
einen Kratzer zugefügt zu haben, doch die pure Wucht des
Aufpralls ließ Lancelot einen halben Schritt zurücktaumeln. Sofort sprang er wieder vor, duckte sich noch tiefer
unter den Schildrand und betete, dass die unsichtbaren
Schützen dort unten im Tal nicht noch besser waren, als es
ohnehin schon der Fall sein musste, und etwa einen der
schmalen Sehschlitze seines Visiers trafen.
Ein ganzer Schwarm von Pfeilen prallte neben und unter
ihm gegen die Mauer oder flog über ihn hinweg und mindestens drei oder vier weitere Geschosse zersplitterten an
seinem Schild. Einer schrammte sogar über seinen Helm,
doch diesmal war Lancelot auf den Schlag vorbereitet und
beugte sich trotzig weiter vor.
Was er sah, erschreckte ihn bis ins Mark.
Der schmale Felsenpfad unter ihnen war schwarz vor
Männern. Die ersten Angreifer hatten das Tor fast erreicht
und Hunderte und Aberhunderte weiterer drängten ihnen
nach. Trotz allem hatte Lancelot bisher den bloßen Gedanken, dass Artus sein ganzes Heer gegen Tintagel
schicken würde, als lächerlich abgetan – dreißigtausend
Mann gegen eine Burg, die von ein paar Hundert verteidigt wurde? Das war grotesk. Und doch schien ganz genau
dies der Fall zu sein, denn als er seinen Blick von den Angreifern unten am Fuße der Mauer löste und zum Feldlager hinsah, erkannte er eine schwerfällige, fließende Bewegung, die sich direkt auf Tintagel zuschob.
Artus schien nicht gewillt, Worte wie Ritterlichkeit und
Fairness in diesem Kampf zuzulassen, sondern hatte sich
offenbar entschlossen, die Burg mit der puren Menge seiner Kämpfer zu überrennen, eine Taktik, die zweifellos
zum Erfolg führen musste. Aber welchen Preis würde er
dafür bezahlen!
Wie hoch er wirklich war, das demonstrierte ihm Sean
schon im nächsten Augenblick.
»Und?«, fragte der Ire.
Lancelot ließ sich hastig wieder hinter den Zinnenrand
zurücksinken und schüttelte den Kopf. »Sie sind da.«
»Unten auf dem Pfad?«
»Und vor dem Tor«, bestätigte Lancelot.
Sean nickte grimmig und wieder erschien dieser Ausdruck in seinen Augen, der Lancelot so sehr erschreckte,
machte er ihm doch endgültig klar, dass sich etwas in dem
Iren tatsächlich auf diesen Kampf freute. Er sagte jedoch
nichts mehr, sondern duckte sich nur, als ein weiterer
Pfeilhagel auf sie herabregnete, ließ sich dann auf Hände
und Knie hinab und kroch scheinbar unbeholfen, aber sehr
schnell zu dem Ölkessel hin, den er gerade weiter angeheizt hatte. Wieder regnete es Pfeile.
Eines der Geschosse stürzte nahezu senkrecht in den
Kessel hinab, hinter dem sich Sean hastig duckte. Siedendes Öl spritzte hoch und der Ire stieß einen knurrenden
Schmerzenslaut aus und fuhr sich mit dem Unterarm über
das Gesicht.
Und dann war es vorbei. Der letzten Pfeilsalve folgte
keine weitere mehr, doch dafür hob unter ihnen auf dem
Pfad das aufpeitschende Kampfgeschrei hunderter und
aberhunderter von Männern an, und nur einen Augenblick
später prallte etwas mit einem dumpfen Krachen gegen die
Mauer in Lancelots Rücken. Als er erschrocken hochsah,
erblickte er die beiden oberen Sprossen einer Leiter!
»Jetzt!«, schrie Sean. Gleichzeitig sprang er hinter seiner
improvisierten Deckung in die Höhe, griff – obwohl er
glühend heiß sein musste – nach dem Kessel und begann
ihn nach vorne zu kippen. Lancelot sah, wie sich die gewaltigen Muskeln des irischen Hünen spannten, und für
einen Moment glaubte er sogar den
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