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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einer Geste, still zu sein und
dicht hinter ihm zu bleiben, und lief los; geduckt und so
schnell, wie er es gerade noch wagte, damit Gwinneth in
der Dunkelheit und auf dem hier immer noch spiegelglatt
gefrorenen Boden mit ihm Schritt halten konnte. Alle seine Sinne waren bis zum Zerreißen angespannt – es erschien ihm mit jedem Schritt unwahrscheinlicher, dass
Artus, der ebenso wie Gwinneth auf dieser Burg aufgewachsen war, diesen geheimen Fluchtweg nicht kennen
sollte. Dennoch erreichten sie unbehelligt den Beginn des
Felsenpfades, der zu Merlins Höhle hinabführte.
    Bevor sie den Abstieg in Angriff nahmen, blieb Lancelot
noch einmal stehen und beugte sich schaudernd vor.
Der Sturm war nicht mehr annähernd so schlimm wie
das letzte Mal, als sie hier gewesen waren, aber er zerrte
doch wie mit unsichtbaren, eiskalten Fingern an ihm, und
auch wenn das Meer nun nicht mehr mit solcher Urgewalt
gegen die Küste anrannte, als wollte es die von Menschenhand erschaffene Festung herunterreißen, so brachen
sich die Wogen doch mit solcher Wucht an den vereisten
Klippen, dass der Boden unter ihren Füßen jedes Mal
spürbar erzitterte. War es schon bei Tageslicht gefährlich
gewesen, diesen Pfad hinabzusteigen, so kam ihm jetzt,
mitten in der Nacht und erschöpft und verängstigt, wie sie
waren, ihr Vorhaben wie der pure Wahnsinn vor. Doch
wenn er wollte, dass Gwinneth am Leben blieb, hatten sie
keine andere Wahl.
»Also willst du mich am Ende doch noch betrügen.«
Gwinneth stieß einen leisen, erschrockenen Schrei aus
und schlug die Hand vor den Mund, und Lancelot fuhr so
hastig herum, dass er auf dem rutschigen Fels beinahe den
Halt verloren hätte. Seine rechte Hand schloss sich um den
Schwertgriff.
Wie ein Geist, der direkt aus der Nacht gekommen war,
trat Artus aus der Dunkelheit heraus. Er trug noch immer
die silbern schimmernde Rüstung, in der Lancelot ihn am
Abend gesehen hatte, darüber jetzt aber einen blütenweißen Mantel, auf dem als einziger Schmuck das königsblaue Wappen Camelots über der rechten Schulter prangte,
und anstelle eines Helmes hatte er den schmalen,
schmucklosen Goldreif aufgesetzt, den er als Krone trug.
Er kam langsam näher, blieb in zwei Schritten Abstand
stehen und sah abwechselnd Lancelot und Gwinneth an. In
der Dunkelheit war es unmöglich, den Ausdruck auf seinem Gesicht zu deuten.
Lancelot trat einen halben Schritt zur Seite und versuchte die Schatten hinter Artus mit Blicken zu durchdringen,
aber Artus schüttelte nur den Kopf und sagte: »Keine Sorge. Ich bin allein.«
Zögernd nahm Lancelot die Hand vom Schwertgriff.
»Was willst du?«
»Es wäre mir lieber gewesen, ich hätte diese Frage nicht
beantworten müssen«, sagte Artus. »Ich hatte dein Wort.«
»Mein Wort, dir Tintagel zu übergeben, ja«, antwortete
Lancelot. »Das habe ich getan. Tintagel gehört dir.«
Artus schüttelte zornig den Kopf. »Beleidige mich nicht
noch zusätzlich, indem du dich rauszureden versuchst;
noch dazu auf so eine kindische Art.« Seine Worte klangen scharf, seine Stimme jedoch nur bitter und traurig. »Es
war das Wort eines Ritters, das du mir gegeben hast. Aber
ich glaube, du hast niemals wirklich begriffen, was das
bedeutet, nicht wahr?«
»Doch«, widersprach Lancelot. »Aber ich habe auch
Gwinneth mein Wort gegeben, sie zu beschützen. Ginge es
nur um mich, dann hätte ich dich in der Festung erwartet.«
»Ich weiß«, bestätigte Artus.
»Ich kann sie dir nicht ausliefern.«
»Und ich, mein junger Freund«, sagte Artus und schloss
die Hand fester um den Griff Excaliburs, »kann euch nicht
gehen lassen.« Er seufzte. »Wäre es anders herum und ich
an deiner Stelle, ich würde nicht anders handeln als du.
Aber ich bin nicht an deiner Stelle. Es geht nicht um mich.
Nicht um das, was der Mann Artus will oder was nicht. Du
hast den König herausgefordert, und damit dieses ganze
Land.«
Lancelot zog langsam das Schwert. Die Runenklinge
schien im blassen Licht des Mondes aufzuglühen und für
einen ganz kurzen Moment erschien ein Ausdruck von
Erschrecken in Artus’ Augen, ja fast Entsetzen.
Dann aber zog er selbst seine Klinge, und auch Excalibur leuchtete im gleichen, unheimlichen, knochenbleichen
Glanz auf.
»Nein!«, sagte Gwinneth. »Tut das nicht! Ich flehe euch
an!«
Artus schluckte trocken. »Ich kann nicht anders«, sagte
er leise. Lancelot konnte sich täuschen – aber für einen
Moment war er fast sicher, Tränen in den Augen des

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