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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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doch gar nicht«, murmelte Dulac.
Er versuchte sich an die letzten Augenblicke zu erinnern,
bevor ihn das Einhorn aus der Hölle des brennenden Stalls
hinausgetragen hatte. Er hatte gespürt, wie sein Haar und
seine Kleider Feuer fingen, und ja, die Hitze hatte sein
Gesicht verbrannt, aber so schlimm war es doch gar nicht
gewesen.
»Jedenfalls schlimm genug, dass wir uns schon Gedanken über deine Grabinschrift gemacht haben«, sagte Sean
lakonisch. »An welche Götter glaubst du, mein Junge?«
Dulac blieb ihm die Antwort schuldig, aber Sean schien
auch nicht wirklich damit gerechnet zu haben. Er zuckte
erneut mit den Schultern, griff hinter sich um seinen Wasserschlauch aufzuheben und stand in der gleichen Bewegung auf. »Dann denk dir meinetwegen einen Gott aus,
dem du für deine wundersame Rettung danken kannst.« Er
betrachtete den Wasserschlauch in seiner Hand einen
Moment lang nachdenklich, dann ließ er ihn mit einem
erneuten angedeuteten Achselzucken neben Dulac wieder
in den Schnee fallen und drehte sich um. »In einer Stunde
geht die Sonne auf und dann reiten wir weiter. So lange
lasse ich euch beide allein.«
Dulac griff zwar ganz instinktiv nach dem Schlauch und
öffnete ihn, aber dann setzte er ihn nicht sofort an, sondern
hielt mitten in der Bewegung inne um Sean hinterherzublicken. Der Ire entfernte sich mit wenigen schnellen
Schritten. Nur einen halben Steinwurf entfernt von dem
Feuer, neben dem Dulac erwacht war, brannte ein zweites,
deutlich größeres Lagerfeuer, vor dem vier zusammengerollte und dick in Decken eingemummelte Gestalten im
Schnee lagen und schliefen: Seans Brüder und sein Onkel.
Hinter ihnen war ein halbes Dutzend Pferde am Waldrand
angebunden, darunter auch Gwinneths prachtvoller
Schimmel, das Packpferd und das Einhorn. Das war gar
nicht gut. Er hatte sich während seiner Flucht immer bemüht, dass möglichst niemand den wertvollen Schimmel
und das Einhorn aus nächster Nähe zu sehen bekam. Zwar
konnten normale Menschen das Horn des Fabelwesens
nicht sehen, doch passte das auch so immer noch auffällig
prächtige und elegante Tier höchstens zum Silbernen Ritter Lancelot, nicht aber zum Küchenjungen Dulac.
Umso mehr wunderte er sich darüber, dass sich das Einhorn nicht von sich aus abseits gehalten hatte. Es sah ihm
gar nicht ähnlich, sich zu fremden Menschen und Pferden
zu gesellen und sich wie selbstverständlich anbinden zu
lassen, als sei es nichts weiter als ein ganz gewöhnliches
Reittier. Doch immerhin schien es als einziges nicht im
Stehen zu schlafen, sondern hatte den Kopf gedreht und
blickte aus seinen großen, klugen und auf beunruhigende
Weise wissend erscheinenden Augen zu Dulac herüber, als
wolle es ihn auf etwas aufmerksam machen – vielleicht
auf den mindestens ebenso großen nachtschwarzen
Hengst, der nur ein Stück neben ihm angebunden war. Das
Tier trug jetzt nicht mehr den ledernen Schuppenpanzer,
aber Dulac erkannte es dennoch sofort wieder. Es war der
Hengst, den er aus dem Stall gerettet hatte.
»Zwei Tage?«, murmelte er, immer noch in ungläubig
zweifelndem Ton, obwohl er längst begriffen hatte, dass
Sean und Gwinneth die Wahrheit sprachen.
»Du wärst fast gestorben«, sagte Gwinneth mit einem
bestätigenden Nicken. »Ich hatte solche Angst.«
»Das tut mir Leid«, sagte Dulac. »Ich wollte nicht …«
»Was?«, unterbrach ihn Gwinneth. Ihre Stimme war
nicht lauter geworden, auch nicht schärfer, und dennoch
war plötzlich ein Ton darin, der Dulac alarmiert aufsehen
ließ. »Mich nicht erschrecken? Mir keine Angst machen?«
Sie schüttelte heftig den Kopf. »Was ist los mit dir, Dulac?
Was ist aus dir geworden?«
»Ich verstehe nicht, was du meinst«, antwortete Dulac,
aber das war nicht ganz die Wahrheit. Er wusste, was der
bittere Ton in Gwinneths Stimme zu bedeuten hatte, genauso wie er wusste, was die Dunkelheit in ihren Augen
war. Es war Angst. Doch er wollte nicht zugeben, dass es
Angst vor ihm war, viel mehr als vor irgendetwas anderem.
»Als du draußen im Wald warst, wie viele Pikten hast du
da erschlagen?«, fragte Gwinneth.
»Pikten?«, murmelte Dulac, als verstünde er nicht genau,
wovon sie sprach.
»Wir haben sie gefunden«, sagte Gwinneth. »Es waren
drei. Wenigstens haben wir nur diese drei Leichen gefunden.«
»Und was hätte ich tun sollen?«, verteidigte sich Dulac.
»Es galt: sie oder ich. Hätte ich mich vielleicht kampflos
erschlagen lassen sollen? Oder wäre es dir lieber

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