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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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mehr sicher, ob er das Leben liebt. Ich bin mir nicht sicher, ob er wirklich derselbe ist, in den ich mich verliebt
habe.«
Dulac musste plötzlich gegen Tränen ankämpfen. Leiser
und mit zitternder, nur noch mühsam beherrschter Stimme
antwortete er: » Dulac hätte dich nicht aus dem brennenden
Scheiterhaufen retten können. Er hätte es sicher versucht,
aber er wäre dabei ums Leben gekommen und du auch.«
»Aber Dulac hätte auch keinen Mann erschlagen, der um
sein Leben wimmert«, erwiderte Gwinneth.
Darauf gab es keine Antwort. Es gelang Dulac, die Tränen zurückzudrängen und sein Gesicht in eine beherrschte,
unbewegte Maske zu verwandeln, aber er hatte nicht mehr
die Kraft, Gwinneths Blick standzuhalten. Ihre Worte
brannten wie vergiftete Pfeile in seiner Seele.
Sie hatte das nicht gesagt um ihm wehzutun, sondern
weil es die Wahrheit war, und tief in sich drin spürte er,
dass sie Recht hatte. Er hatte sich verändert, und das lag
nicht nur daran, dass er älter geworden war und gelernt
hatte, sich zu wehren und um sein Leben zu kämpfen.
»Ich denke oft an unseren ersten Abend auf Camelot zurück«, fuhr Gwinneth nach einer Weile fort, leiser und
nicht direkt an ihn gewandt; sie hatte sich wieder umgedreht und blickte auf die Ansammlung winziger Spielzeuggebäude tief unter ihnen im Tal hinab. »An Dagda
und das sonderbare Buch, das wir in seinem Zimmer gefunden haben. Erinnerst du dich?«
Ob er sich erinnerte? Was für eine Frage. Es war das erste Mal gewesen, dass er einen Blick in die andere Welt
geworfen hatte, in die Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit. Die Tir Nan Og, die Insel der Unsterblichen, die ihrer
beider Heimat war. Wie hätte er diesen Anblick jemals in
seinem Leben vergessen können? Er nickte.
»Wir gehören dort hin, Dulac, nicht hierher«, flüsterte
Gwinneth. »Dagda hat es gewusst. Ich glaube, hätten wir
uns ihm damals anvertraut, er hätte uns geholfen.«
»Dagda ist tot«, erinnerte sie Dulac.
»Aber die Tir Nan Og existiert weiter«, widersprach
Gwinneth. Obwohl sie ihn nicht direkt ansah, konnte Dulac erkennen, dass auch sie jetzt mit den Tränen kämpfte.
»Es gibt keinen Weg mehr zurück.«
»Einen gibt es«, widersprach Gwinneth.
Im ersten Moment verstand Dulac nicht wirklich, was sie
meinte, doch dann lief ihm ein kalter Schauer über den
Rücken. »Du meinst doch nicht …?«
»Es wäre einen Versuch wert«, sagte Gwinneth. »Wir
sind diesen Weg schon einmal gegangen – du sogar zweimal.«
Und genau das war der Grund, aus dem er wusste, dass
Gwinneth sich irrte. Er war in der anderen Welt gewesen,
auf Tir Nan Og, der Insel der Unsterblichen, und er erinnerte sich nur zu gut daran. An die schwarzen Gewölbe
Malagons, aber auch an den verzauberten Wald voller
Elfen und Feen und anderer Fabelwesen – und er erinnerte
sich an den Elbenjungen, den er getroffen und mit dem er
geredet hatte; ein Wesen, das ihm trotz aller Freundlichkeit so fremdartig und bizarr vorgekommen war, dass ihm
noch jetzt ein kalter Schauer über den Rücken lief.
Gwinneth irrte sich. Er konnte ihre verzweifelte Hoffnung verstehen und er hätte alles darum gegeben, hätte er
diese Hoffnung teilen können, doch er wusste, dass es
sinnlos wäre. Gwinneth und er waren möglicherweise dort
drüben geboren, aber sie waren in der Welt der Menschen
und Sterblichen auf gewachsen, und sie würden dort drüben ebenso Fremde sein wie hier, vielleicht nicht gejagt
und auf der Flucht, allerdings zu ewiger Einsamkeit verdammt. Doch er wagte es nicht, Gwinneth damit zu konfrontieren. Nicht jetzt. Vielleicht später. Ihre Hoffnung
und ihr Wunsch waren aus Verzweiflung und grenzenloser
Furcht geboren, und vielleicht war diese Hoffnung das
Einzige, was ihr noch die Kraft gab, überhaupt weiterzumachen.
»Malagon liegt fast am anderen Ende des Landes«, sagte
er. »Wir würden Monate brauchen, um dorthin zukommen.« Ganz zu schweigen davon, dass sie dazu wieder
zurück in Richtung Camelot reiten mussten und damit den
Heerscharen von Verfolgern, die Artus ausgesandt hatte,
direkt in die Arme laufen würden. Gwinneth antwortete
nicht, denn um ihre Hoffnung nicht aufzugeben, war es
vielleicht tatsächlich ihre einzige Möglichkeit, seine Worte einfach zu ignorieren, und deshalb fügte Dulac noch
hinzu: »Außerdem würden unsere neuen Freunde bestimmt nicht damit einverstanden sein.«
Gwinneth warf einen raschen Blick über die Schulter zu
den Iren zurück und runzelte die Stirn.

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