Runenschwert
seine weißen Zähne sah.
Ich sah zum Himmel und überlegte, wie viel Zeit wir noch hatten, aber es war schlecht abzuschätzen. Der ganze Horizont war in ein schmutziges Gelb getaucht, und der Wind hatte sich gelegt.
Odin ist der Allvater, der große Gott. Er wechselt seine Gestalt, soweit man ihn überhaupt einmal zu sehen bekommt, aber wenn man die Anwesenheit des Einäugigen spüren will, dann muss man an einen einsamen Ort gehen und warten und horchen. Ich habe es schon gemacht und in einem Wald gespürt, wie er vorbeigegangen ist. Man merkt es an den Tausenden von geheimnisvollen Geräuschen und dem leisen Flüstern des Windes in den Ästen und Blättern, auch im Sturm, wenn er die Bäume ächzen lässt und uns zeigt, wo Allvater auf seiner wilden Jagd vorbeikommt.
Doch am stärksten fühlen wir ihn in der unheimlichen und schrecklichen Stille, die sich manchmal über dem Meer, den Bergen und den Wäldern ausbreitet.
In einem Land, wo es spiegelklare Fjorde, tosende eiskalte Wildbäche und schwarze Granitklippen gibt, wo im Sommer sonnenwarme Kiefernwälder duften, da ist die Gegenwart des Einäugigen leicht zu spüren. Aber in der kahlen Steinwüste dieser serkländischen Hochfläche nahte er sich uns so unheimlich und lautlos, dass es einem fast den Atem nahm.
Wir sahen einander an, spürten, wie wir eine Gänsehaut bekamen und sich unsere Nackenhaare aufstellten; wir wussten, dass etwas passieren würde. Etwas traf auf meinen nackten Arm, erschrocken tastete ich danach und fühlte, dass es nass und sandig zugleich war.
Eine andere Zeit, ein anderer Ort. Als ich in der Nähe von Känugard auf der Treppe zum Felsengrab eines Hunnenkönigs stand, hatte es ebenfalls sandiges Wasser geregnet, und der Himmel war gelb gewesen wie die Augen eines Wolfs.
» Denghizik«, flüsterte ich in Finns Ohr. Er riss die Augen auf, und ich wusste, dass auch er sich an den Namen des Hunnenkönigs erinnerte und an das, was wir dort erlebt hatten. Der Wind heulte auf und drückte die fernen Feuer zu Boden.
» Los! Lauft!«
Die Welt wurde finster, und wir rannten los.
Der Sandsturm hatte sich im Dunkel der Nacht unmerklich von den trockenen nabatäischen Bergen her genähert, über denen die Hitze der Wüste Zin wie eine schwere Glocke lag. Er ließ alles auf seinem Weg entlang des Wadi Araba verdorren, er tanzte wie ein irrer dschinn aus Staub daher und füllte das Salztal mit seinem Gebrüll. Dann drängte er sich zwischen die Felsen von Moab und in die Spalten und Klüfte der Berge von Judäa rund um das Tote Meer, wo er sich wie ein wilder Hengst aufbäumte, um sich mit Sturmgewalt und stechendem Sand auf Masada zu stürzen.
Er nahm uns den Atem und schob uns mit mächtigen Stößen bald hier, bald dort hin und heulte wie der entfesselte Fenriswolf; die Sonne wurde heute tot geboren, eine Morgendämmerung gab es nicht.
Wir taumelten wie Betrunkene und hielten uns aneinander fest, doch schließlich konnten wir uns nicht mehr auf den Beinen halten, weil der Wind an unseren Schilden riss. Auf allen vieren krochen wir in den Schutz des verfallenen Gebäudes, wo wir uns wie Ratten in die Nischen der Rückwand drückten, wenn sie nur irgendwie Schutz versprachen. Nur fort aus diesem sandigen Wind, der uns bis aufs Blut peitschte.
Innen war Licht und Wärme, dafür sorgten Laternen und ein Feuer, aber als wir keuchend und brüllend hineinstürmten und unsere Schatten übergroß an den Wänden erschienen, sprangen die Männer, die hier ums Feuer gesessen hatten, entsetzt auf. Aufgeregtes Geschnatter auf Griechisch und Arabisch, aber die einzige Antwort darauf war ein böses Knurren und das Pfeifen von Klingen, und es dauerte einen Moment, bis sie merkten, dass ihre schlimmsten Befürchtungen wahr geworden waren. Die Männer, die hier auf sie zukamen, waren keine Freunde. Der Kampf war kurz und grausam. Zum Schluss lagen acht von ihnen tot da, und es war egal, wie laut die Verletzten schrien, denn bei dem Sturm, der draußen tobte, hörte man ohnehin nichts. Nur einer von ihnen hatte es geschafft, die Hand an den Griff seiner Waffe zu legen, und auch das nur in dem Moment, in dem er starb.
Mit offenen Mündern und schwer atmend ließen sich die Eingeschworenen auf den Boden fallen. Ich schob die verstreute Glut des Feuers wieder zusammen und sah mich um. Wir befanden uns in einem großen Raum, in dem sich an einem Ende ein wuchtiger Steinquader befand, den ich als Altar für den römischen Christus erkannte.
Es gab eine
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