Runlandsaga - Die Schicksalsfestung
geführt, der das Hundsrosental überblickt, und den wir Yulgunai , ›Schneebart‹, nennen.
Vielleicht wäre diese Geschichte niemals an unsere Ohren und damit auch nicht an die euren gelangt, wenn die Männer nicht die Tochter des Königs der Langbärte kennengelernt hätten. Ihren Zwergennamen hat die Geschichte nicht überliefert, aber wir wissen, wie sie von unserem Volk später genannt wurde: Nörelja , ›die Erhabene‹.
Sie war kaum größer als ein Kind, aber ihre Schönheit übertraf die meisten der Frauen unseres Volkes. Ihr Haar reichte ihr bis zur Hüfte, nussfarben und glänzend, ihre Haut besaß die helle Farbe von Elfenbein, und ihre Augen schimmerten in einem blassen Blau wie der Himmel über der Steppe, wenn sich die Tage des Winters dem Ende zuneigen und die Luft nach Frühling schmeckt.«
An dieser Stelle hatte sich Ricónda vernehmlich geräuspert, und der Yasgürai, herausgerissen aus einem versonnenen Blick an Pándaros vorbei in die Weite der Steppe jenseits seines Callabs, erzählte mit einem schnellen Seitenblick zu seiner Frau weiter.
»Die Männer waren wie verzaubert von der Schönheit der Prinzessin unter dem Berg. Sie kehrten mit den erstandenen Waffen zurück zu ihrem Herrn und berichteten ihm, wen sie gesehen hatten. Taimarán war sofort Feuer und Flamme für die unbekannte Schönheit und brannte darauf, sie kennenzulernen. Er ritt auf seinem Pferd Silberfell allein ins Hundsrosental und versteckte sich dort am Eingang zur Zwergenfestung in einem Rosengarten, der das verborgene Felsentor umfriedete. Seine Männer hatten ihm zugetragen, dass die Zwergenprinzessin diesen Garten selbst angelegt hatte und ihn pflegte.
Und tatsächlich, nachdem er einige Tage damit zugebracht hatte, zu warten und sich in Geduld zu üben, geschah es, dass sich das verborgene Tor öffnete und Nörelja ihren Garten betrat.
Taimarán, der sie im Schutz eines Rosenbusches betrachtete, war wie verzaubert von ihrer Schönheit, die alle Berichte seiner Männer noch bei weitem übertraf. Er kam aus seinem Versteck hervor und sprach sie an. Zuerst schreckte die Zwergenprinzessin vor dem hochgewachsenen Menschen zurück, der wie ein Geist in ihrem Garten aufgetaucht war. Doch als Taimarán vor ihr niederkniete und ihr erzählte, wie seine Leute ihm von der liebreizenden Prinzessin berichtet hatten, da musste sie lächeln. In diesem Augenblick war es um den Herrn der nördlichen Steppe geschehen. Die beiden trafen sich heimlich immer wieder vor dem Eingang der Zwergenfestung, und es dauerte nicht lange, bis sich auch Nörelja in Taimarán verliebte.
Doch ihr Glück blieb nicht lange unbemerkt. Baldarian, Goradias Herr, wachte über seine Tochter ebenso misstrauisch und eifersüchtig wie über seine Schätze. Ihm war aufgefallen, dass Nörelja viel öfter als früher an die Oberfläche und in ihren Garten ging. Daher folgte er ihr, ohne dass sie es bemerkte, denn er trug einen mächtigen Gegenstand aus seiner Schatzkammer bei sich, wertvoller als alles Gold und alle Edelsteine, die von seinen Zwergen in den Minen gefördert worden waren: eine Tarnkappe, gefertigt aus einem silbernen Kettenkopfschutz. Mit ihrer Hilfe gelang es ihm, seiner Tochter als unsichtbarer Schatten bis in ihren Garten zu folgen, wo sie sich mit Taimarán verabredet hatte. Doch unser Ahne wäre kein wahrer Herr der Steppe gewesen, wenn ihm entgangen wäre, dass sich einige der Rosen hinter Nörelja bewegten, als sie freudig auf ihn zugeschritten kam.
Er wusste, dass ihr jemand unsichtbar gefolgt war, ließ sich aber nichts anmerken, sondern umarmte seine heimliche Geliebte, wie er es bei den Treffen zuvor auch schon gehalten hatte. Baldarian wähnte sich in Sicherheit, doch da wurde er auch schon von Taimarán mit hartem Griff gepackt. Der Zwergenkönig aber war ebenso wie unser Ahnherr kein leichter Gegner, sondern wehrte sich nach Kräften gegen den Menschen, der ihn festhielt. Taimarán rang lange mit seinem Feind, dessen unsichtbare Hände sich um seinen Hals gelegt hatten, um ihn zu erwürgen. Schließlich gelang es ihm, Baldarian von sich zu schleudern, wobei ihm die Tarnkappe vom Kopf glitt. Von einem Lidschlag zum nächsten war er für menschliche Augen wieder sichtbar geworden, ein stämmiger Zwerg, der in einem Rosenbusch lag. Taimarán erkannte sofort, was für den Zauber verantwortlich gewesen war, und griff nach dem silbernen Kopfschutz, bevor Baldarian ihn sich wieder aufsetzen konnte. Damit war Goradias Herr besiegt.
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