Runlandsaga - Die Schicksalsfestung
der Welt
Jahrhunderte vergingen. Die Endarin lebten in ihrer Verbannung, wie sie es zuvor auch in Vovinadhár getan hatten. Die Temari breiteten sich immer mehr in Runland aus und gründeten die Königreiche der Menschen. Bald waren sie in jedem Winkel der Welt zuhause, von den Weinbergen des Südens bis zu dem reichen Fanggründen vor der Halbinsel von Felgar. Aber sie wagten es nicht, ihren Einfluss auf die Mondwälder und das Fünfseenland auszudehnen. Sie erinnerten sich dunkel daran, dass ihre Vorfahren einst dort unter dem Schutz eines fremdartigen und mächtigen Volkes lebten. Die Menschen gaben dieser Rasse Namen wie »die Erstgeborenen« oder »Elfen«. Letzteren vor allem deswegen, weil einst ein sagenhaftes Volk aus ihrer alten, zerstörten Welt so genannt worden war.
Die Endarin wiederum vermieden den Kontakt zu den Menschen und schotteten sich im Fünfseenland vom Rest Runlands ab. Sie waren verbittert darüber, dass die Temari ihre Gesellschaft nur langsam und über einen langen Zeitraum hinweg entwickelten, sprachen aber auch nicht mehr gegen Oláran und seine Entscheidung, die Menschen so wenig wie möglich zu beeinflussen.
Ein Teil der Endarin gab irgendwann sogar völlig die Anteilnahme an der Entwicklung der Temari auf. Sie glaubten nicht mehr daran, dass die Menschen jemals der Schlüssel für die Wiederkehr der Herren des Chaos sein könnten. Stattdessen beschlossen sie, ihre Verbannung zu einem dauerhaften Dasein zu machen, anstatt davon zu träumen, eines Tages nach Vovinadhár zurückkehren zu können. Sie suchten Oláran auf und teilten ihm mit, dass sie Meridon verlassen würden, um in den Mondwäldern eine neue Siedlung zu gründen. Sie wollten nicht mehr in einer Stadt leben, deren Bauten sie an ihre zurückgelassene Heimat erinnerten. Unter dem Schutz der Laranbäume wollten sie im Einklang mit Runlands Natur leben und ein Dasein führen, das frei sein sollte von bedrückenden Erinnerungen an die Auseinandersetzungen, die sie in die Verbannung geführt hatten.
Oláran war tief betrübt über ihren Entschluss, aber er ließ sie ziehen. Jahre darauf verließ er ebenfalls mit seinen Getreuen Meridon. Seine Wachsamkeit hatte in all der Zeit seit ihrer Verbannung nie nachgelassen. Sein Plan war es, für die Seinen einen Ort zu schaffen, an dem die Herren der Ordnung sie nicht so leicht entdecken würden, der aber dennoch immer noch in der Welt von Runland verankert wäre. So überließen sie Meridon der Gewalt der Natur. Ihr früheres Zuhause verwandelte sich in eine Geisterstadt, die nach und nach verfiel.
Am Ende ihrer langen Wanderung erreichten sie die Halbinsel von Felgar, wo sie ihr neues Endarinreich gründeten, mit der Festung Hagonerin als Stammsitz. Inzwischen wurden sie Antara, »Dunkelelfen«, genannt. Diesen Namen hatten sie von ihren Brüdern und Schwestern in den Mondwäldern erhalten, denn für ihre Verwandten waren sie geheimnisvoll und verborgen in ihren Wegen geworden.
In ihrem neuen Zuhause trieben Oláran und die Seinen ihre Handwerkskunst in solche Höhen voran, dass gewöhnliche Sterbliche kein anderes Wort als »Magie« dafür besessen hätten, wenn sie deren Zeugen geworden wären. In jahrzehntelanger Arbeit schufen sie weit vor der Küste in den Tiefen der See ihr verborgenes Reich. Knapp hundert Jahre nach ihrem Fortgang aus Aligonyar, am Ende der Alten Tage, als der Dunkle Herrscher Nodun besiegt worden war, hatten sie Eilond fertiggestellt und siedelten dorthin um. Für die gewöhnlichen Sterblichen, ja sogar für die übrigen Endarin, verließen sie Felgar und siedelten an einen unbekannten Ort über. So verschwanden sie aus den Geschichten der Völker.
Und so wie ihre Verwandten fortgingen, verließ nach und nach die Elfen in den Mondwäldern auch die Erinnerung daran, wer sie einmal gewesen waren. Ihre Vergangenheit als Serephin tauchte in die Nebel von Sagen und Legenden ein, während sie selbst sich in schlichte Naturwesen verwandelten, verwurzelt in und verbunden mit der Wildnis, die ihre Heimat war, und nicht willens, noch einmal etwas anderes zu sein als Geschöpfe des Waldes.
14
Schnee fiel in dichten Flocken aus einem milchig grauen Himmel auf das stille Land herab, das den Eisenbergen vorgelagert war. Schon seit Tagen war der Gesang des Windes, der unvermeidliche Begleiter jedes Reisenden in den Steppen von Ceranth, verstummt. Die einzigen Geräusche, die jene unheimliche Stille durchbrachen, rührten von Hufen her, und dem gelegentlichen
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