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Runlandsaga - Die Schicksalsfestung

Runlandsaga - Die Schicksalsfestung

Titel: Runlandsaga - Die Schicksalsfestung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Gates
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Augenblick schoss die Erinnerung mit der Kraft einer aufgehenden Sonne zurück in ihren Geist.
    Der Anhänger! Es war ein Fingerknochen – der Finger der Hexe aus dem Roten Wald!
    Sie ließ den glattpolierten Knochen über ihre Handfläche gleiten. Wie ein Schlüssel im passenden Schloss öffnete er die verschlossenen Kammern ihres Gedächtnisses, eine nach der anderen. Eine Flut von Bildern rauschte so ungebremst durch ihren Verstand, dass die damit verbundenen Gefühle sie völlig überwältigten.
    Tränen rannen ihr über die Wangen, als sie sich an ihre Heimat erinnerte. Wie sehr sie den Wald vermisste, seinen schweren Geruch von Harz und feuchter Erde! Sie dachte an ihre Mutter Tanati, an Miruni, der in sie verschossen gewesen war, und an all die anderen vertrauten Verwandten und Freunde aus ihrem Dorf. Enris’ Gesicht fiel ihr wieder ein, der Klang seiner Stimme und der Duft seiner Haut. Von ihm getrennt zu sein, alleine in der Dunkelheit, war kaum zu ertragen. Aber es war nicht zu ändern. Die Dunkelheit war alles, was ihr noch geblieben war. Sie hatte die Leere um sie herum auszuhalten und zu meistern, egal wie schwer es ihr fallen oder wie lange es dauern mochte.
    Als sie sich allmählich an die Vielzahl der Empfindungen in ihrem Geist gewöhnte, wurde sie langsam ruhiger und ruhiger. Nun wurde ihr auch ihr Name wieder bewusst, seltsamerweise als letzte Erkenntnis dieser Flut von Erinnerungen. Eine Ansammlung von Lauten in ihrem Verstand verwandelte sich zurück in ein Wort, das sie mit sich selbst verband.
    Neria.
    Sie war über den Rand der bekannten Welt vorgedrungen und nicht gestorben. Jedenfalls fühlte sie sich sehr lebendig. Tote mussten sich keine Tränen aus den Augen wischen, um wieder klar sehen zu können. Und bestimmt verspürten Tote keine Liebe oder dermaßen brennendes Heimweh. Aber da war noch mehr.
    Sie hatte einen Auftrag.
    In dem gleichen Maße, in dem ihr Stück für Stück wieder einfiel, was von ihr verlangt wurde, schälten sich vor ihr in der Dunkelheit, die nur vom Licht weit entfernter Sterne durchbohrt wurde, die Umrisse von etwas heraus, das sie an ein riesiges Gebäude erinnerte. Es schien durchsichtig zu sein, denn die leuchtenden Himmelspunkte schimmerten auch innerhalb seiner Abmessungen.
    Neria hatte nur selten in ihrem Leben etwas Größeres als eine Hütte oder ein Blockhaus gesehen, deshalb musste sie sofort an die steinernen Häuser in Mehanúr denken, die sie vom Kamm des Angilaard aus hatte betrachten können. Doch was da vor ihr in der Finsternis Gestalt annahm, besaß größere Ausmaße als der Tempel der Erde, den sie darüber hinaus auch nur von fern erblickt hatte. Es war gewaltiger als alles, was sich ihre Vorstellungskraft hätte ausdenken können, eine riesige Festung mit unzähligen schlanken wie breiten Türmen, die sich vor ihr in die Finsternis reckten, so weit sie den Kopf in den Nacken legen und zu ihnen hinaufblicken konnte. Die Umrisse dieses ungeheuren Gebäudes glänzten matt in einem graugrünen Ton, als würden sie durch ein inneres Licht erhellt. Die Festung schwebte ebenso wie Neria in der Dunkelheit, ohne dass die Voronfrau einen Boden hätte erkennen können, auf dem sie errichtet worden war. Immer noch leuchteten Sterne durch sie hindurch, als sei sie nur ein Trugbild oder als bestünden ihre wuchtigen Mauern aus Kristall.
    Neria fragte sich, ob sie sich vielleicht nur einbildete, was sie da vor sich sah. War es am Ende bloß ein Abbild ihres Wunsches, endlich die Schicksalsfestung zu finden?
    Es gab nur eine Möglichkeit, dies herauszufinden. Sie musste die riesige Burg erreichen.
    Neria hatte kaum diese Absicht gefasst, als sie schon bemerkte, dass sie sich auf die grünlich schimmernde Festung zubewegte. Die Vorderfront des gewaltigen Gebäudes wuchs zunehmend an. Jetzt, da sie sich ihr näherte, fiel der Voronfrau auf, dass sie die enorme Größe der Mauern vor ihr sogar noch unterschätzt hatte. Diese Festung war selbst weitläufiger als eine Stadt wie Mehanúr.
    In der Mitte der Außenmauer erkannte Neria ein turmhohes, spitz zulaufendes Tor, dem einzigen erkennbaren Eingang in die Festung. Es war dem Aussehen nach aus demselben Material gefertigt wie der Rest der Mauern und wies das Muster eines enormen Spinnennetzes auf. Die dicken, tief in die Oberfläche des Tores eingelassenen Linien trafen sich in dessen Mitte, die auch die Mitte des Netzes darstellte.
    Neria schwebte genau auf den verschlossenen Eingang zu. Ob man sie einlassen

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