Runlandsaga - Die Schicksalsfestung
Lidern rollten seine Augäpfel unruhig hin und her.
»Er ist so ...«, sagte Ricónda und deutete auf das schlafende Gesicht, »seit ... seit ...« Sie bemühte sich sichtlich angestrengt, ein Wort in der Gemeinen Sprache zu finden, das ihr nicht einfallen wollte.
»Ohne Bewusstsein. Seit drei Tagen«, half ihr Watanja. Er hatte sich neben sie gestellt und einen Arm um sie gelegt. Auch sein Blick ruhte auf dem Kind in dem Bett. Er holte tief Luft, bevor er leise und widerstrebend weitersprach. Nun hörte er sich nicht mehr wie der Herr über das Geschick seiner Sippe an. Er klang nur noch wie ein vom Schicksal gebrochener Mann.
»Erst war es nur eine einfache Erkältung. Eigin hustete viel. Wir steckten ihn ins Bett und ließen ihn ordentlich schwitzen. Aber sein Zustand verschlechterte sich immer mehr. Er wird von Tag zu Tag schwächer. Siehst du seine blauen Lippen?«
Deneb nickte stumm.
»Es ist keine gewöhnliche Erkältung mehr. Er hat den Purpurhusten. Ich glaube, ihr Städter nennt sie die ›Lungensieche‹ . Er wird sterben. Ich ...« Watanja drehte seinen Kopf von dem kleinen Archivar weg und hielt inne. Seine Schultern zuckten, und er schien mit den Tränen zu kämpfen. Er räusperte sich lange. Erst als sich seine Stimme wieder gefestigt hatte, redete er weiter. »Ich werde meinen Jungen verlieren. Ihr seid Priester. Ihr habt keine Kinder, deshalb könnt ihr es nicht verstehen, was es bedeutet, wenn ein Vater sein eigenes Kind ins Grab legen muss.«
Für einen Moment glaubte Pándaros, der Yasgürai würde fortfahren, doch kein weiteres Wort wollte über Watanjas Lippen kommen. Ein düsteres Schweigen hing in der Luft.
»Ihr habt aber doch sicher einen Heiler in Eurem Stamm?«, fragte der Priester zögernd.
Der Herr des Callabs wandte sich zu ihm um. Er hatte sich wieder soweit im Griff, dass er Pándaros sein Gesicht sehen ließ. »Unser Semharan , ihr würdet ihn einen Schamanen nennen, ist vor einer Woche gestorben. Sein Pferd trat in ein Erdloch, verflucht seien die Kaninchen, die es gruben! Es stürzte und wälzte sich auf ihn. Er lebte noch wenige Stunden, aber er kam nicht mehr zu Bewusstsein, um einen Nachfolger benennen zu können.«
»Das ist großes Unglück für unser Stamm«, mischte sich Tirianuk ein. Aus der düsteren Miene des Nomaden sprach beinahe so viel Gram wie aus der seines Anführers. »Vielleicht lang Zeit bis Ahnen senden neuen Semharan . Niemand weiß wann.«
»Einige unserer Frauen kennen heilende Kräuter«, sagte Watanja. »Was in ihrer Macht stand, haben sie getan, um den Purpurhusten zu vertreiben. Aber wenn ihr wirklich dem Sommerkönig dient, dann wisst ihr selbst gut genug, dass es oftmals nicht nur an den Heilmitteln liegt, ob jemand wieder von seinem Krankenbett aufsteht oder nicht. Unser Semharanwürde sagen: Eigins Geist ist weit, weit fort in den anderen Welten. Er muss zurück zu seinem Körper gebracht werden. Nur dann wird er wieder gesund. Doch niemand von uns kennt diese Kunst.«
Der Blick des Archivars glitt über das blasse Gesicht des kleinen Jungen unter den Decken.
»Ich könnte es versuchen«, sagte er kaum vernehmbar.
Pándaros durchfuhr ein kalter Schrecken. »Deneb, nein!«
Er trat zu der Bettstatt vor. Tirianuk versuchte ihn aufzuhalten, aber der Priester schüttelte seinen Arm ab. Watanja hob warnend die Hand, und der Nomade, der ihn bereits erneut packen und zurückreißen wollte, hielt in seiner Bewegung inne.
Erregt funkelte Pándaros seinen Freund an. »Sei nicht närrisch! Hier wird dir dein Wissen aus Büchern nichts nützen. Am Ende verschlimmerst du alles nur, und der Geist des Jungen geht endgültig verloren.«
Langsam drehte sich Deneb zu Pándaros um. Er sah ihn aus eigenartig verträumten Augen an, als nehme er ihn nicht wirklich wahr, sondern dächte bereits darüber nach, wie er es anstellen sollte, dem Kind des Yasgürai zu helfen. »Ich rede nicht von Bücherwissen. Vor Jahren habe ich mit dem Gedanken gespielt, selbst ein Heiler zu werden – wie Nasca. Weißt du nicht mehr? Ich habe ihm mehrmals dabei geholfen, wie er den Geist eines Kranken aus den anderen Welten zurückgeholt hat.«
»Aber damals hast du es nie selbst getan«, beharrte Pándaros. Er senkte seine Stimme, obwohl ihm die Sinnlosigkeit, etwas vor dem dicht neben ihnen stehenden Vater des Jungen geheimhalten zu können, bewusst war. »Wenn der Kleine stirbt, werden sie uns die Schuld geben, also lass die Finger davon!«
»Willst du nach Carn Taar
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