Runlandsaga - Die Schicksalsfestung
kommen und Ranár retten?«, flüsterte Deneb. Unwillig runzelte Pándaros die Stirn. Er ahnte, worauf sein Freund hinaus wollte, wenn er es auch nicht gerne hörte.
»Was hat das denn damit zu tun?«
Anstelle einer Antwort sah Deneb den Yasgürai herausfordernd an.
»Werdet Ihr uns freilassen, wenn es mir gelingt, Euren Jungen zu heilen?«
Pándaros zog scharf die Luft ein. Watanja sah den Archivar kalt aus seinen dunklen Augen an.
»Sei vorsichtig mit dem, was du sagst, kleiner Mann. Treibe keine Spiele mit einem Vater, der vor Gram nicht mehr ein noch aus weiß.«
»Unsere Lage ist ähnlich verzweifelt«, erwiderte Deneb ohne zu zögern. »Wir sind Eure Gefangenen, aber die Leben vieler Menschen hängen davon ab, dass wir so schnell wie möglich in den Norden jenseits der Eisenberge gelangen. – Ich weiß«, setzte er schnell hinzu, als er sah, wie sich Unglauben und Verärgerung auf dem Gesicht des Yasgürai abzeichneten, »das hört sich nach einer verzweifelten Lüge eines Mannes an, der alles erzählen würde, um sich selbst zu retten. Aber egal ob Ihr mir glaubt oder nicht: Ich bin weit und breit der Einzige, der in der Lage ist, Euren Sohn zu heilen. Ich sage nicht, dass es mir gelingen wird, aber ich werde alles tun, was in meiner Macht steht – wenn Ihr uns freilasst, falls ich Erfolg habe.«
»Lass es ihn bitte versuchen!«, drängte Ricónda ihren Mann. Dieser strich sich mit gerunzelter Stirn so hart durch seinen dünnen Kinnbart, als wollte er ihn sich ausreißen.
»Also gut.« Er trat dicht an Deneb heran, der sich bemühte, nicht zurückzuweichen. »Aber sei dir bewusst: Wenn Eigin stirbt, dann werdet ihr ihm folgen, bevor ein weiterer Tag beginnt. Nun? Willst du uns immer noch Hoffnung machen?«
»Einverstanden«, antwortete Deneb gepresst. Pándaros schloss die Augen. Er wünschte sich aus tiefster Seele, sein Freund hätte ihn tatsächlich an der Fährstation verlassen. Wenn der Archivar getötet wurde, dann nur deswegen, weil sich dieser ihm angeschlossen hatte. Natürlich war Deneb davon überzeugt, aus freiem Willen mitgekommen zu sein. Doch das konnte den Umstand nicht verschleiern, dass sein Freund heute noch in der Schriftensammlung Bücher wälzen würde, wenn er, Pándaros, nicht beschlossen hätte, Ranár zu finden.
»Tirianuk!« hörte er Watanja befehlen. »Bring das Gepäck der beiden her! Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
Der Nomade nickte und ging zurück zum Eingang des Callabs. Der Yasgürai gab den übrigen Anwesenden ein Zeichen. »Lasst uns allein.«
Während das Zelt sich leerte, bot der Anführer des Stammes den beiden Priestern zu trinken an. »Stärke dich, kleiner Mann!«, sagte er nicht unfreundlich, als er Deneb einen frisch gefüllten Becher mit Stutenmilch reichte. »Danach werden wir sehen, ob Euer Gott, den ihr den ›Dunklen König‹ nennt, Euch wohlgesonnen ist oder Euch mit in sein Reich nehmen will.«
6
Die Serephinwachen gingen so schnell durch das Gewirr der Straßen von Mehanúr, dass die beiden Temari Mühe hatten, mit ihnen Schritt zu halten. Enris fühlte sich trotz der Verletzungen, die er durch das Gift der Clar’catt erlitten hatte, nicht erschöpft – was auch immer der Serephinheiler mit ihm angestellt hatte, seine Kräfte waren ebenfalls wiederhergestellt worden. Es fiel ihm aber trotzdem nicht leicht, ebenso schnell wie ihre Führer auszuschreiten. Zu viele Eindrücke verlangsamten sein Vorankommen.
Immer wieder wäre er am liebsten stehengeblieben, um sich etwas genauer anzusehen: einen Springbrunnen in Form eines weidenähnlichen Baumes aus gelblich durchscheinendem Kristall, von dessen Ästen beständig Wasser wie Sommerregen in das Becken darunter floss, ein schlanker Turm aus schneeweißem Stein inmitten eines rechteckigen Platzes, der sich höher erstreckte als jedes Bauwerk, das Enris bisher in seinem Leben gesehen hatte, eine Gruppe von Serephinkriegern in voller Rüstung, die auf einer Art Übungsgelände mit Schwertkämpfen beschäftigt waren. Doch es blieben ihm jeweils nur kurze Blicke im Vorübergehen, um nicht hinter den Wachen zurückzubleiben.
Auch Neria kämpfte wiederholt mit dem Wunsch, stehenzubleiben und sich umzusehen. Der Flug auf Jahanila in Drachengestalt über eine eintönige Landschaft hinweg war ihr noch wie ein Traum erschienen, verglichen mit dem Reich der Dunkelelfen. Doch nun, inmitten einer Stadt voller fremdartiger Wesen in Echsenform, senkte sich endgültig die Erkenntnis auf sie herab, dass
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