Runlandsaga - Feuer im Norden
ihm zu erfahren, und Teras hatte ihm bereitwillig seine Zeit geschenkt. Enris vermutete, dass es den Bootsmann davon ablenkte, zuviel über das verlorene Mitglied ihrer Mannschaft nachzudenken. Er hatte gesehen, wie mitgenommen die Seeleute immer noch von Eivyns Tod waren. Besonders ihr Khor.
»Weil ich ein komischer alter Mann bin, darum!«, brummte Teras laut. »Wo ich herkomme, jagen wir keine Robben. Auf Tirona glauben die Fischer, dass die Seelen von ertrunkenen Seeleuten in ihnen wohnen. Sag Corrya, wenn er hier Robben fangen will, dann soll er ihnen mit seinem Schwert hinterherrennen, wenn er sie einholen kann.«
»Dann würdest du auch nie auf einem Robbenfänger anheuern?«
Teras sah ihn so entrüstet an, als hätte der Junge ihm gerade vorgeschlagen, sich mit einem Esel zu vergnügen. Enris unterdrückte ein Schmunzeln, während der Rotschopf endlich bemerkte, dass es besser war, nicht weiter nachzufragen, und Themet ihn wieder am Arm davonzog. Teras‘ Stirn glättete sich wieder, kaum dass die beiden außer Sichtweite waren.
»Der Junge ist schon in Ordnung«, sagte er gutmütig. »Hoffentlich hat es seine Mutter bis nach Menelon geschafft. Er kann es kaum erwarten, dass wir dort ankommen. Aber Themet hat wohl keine Verwandten dort?«
Enris schüttelte stumm den Kopf.
»Es war gut, dass du die Verantwortung für ihn übernommen hast. Er scheint ja inzwischen auch nicht mehr wütend auf dich zu sein.«
»Nun, jedenfalls hat er damit aufgehört, mir aus dem Weg zu gehen, seitdem wir den Sturm überlebt haben. Aber den Tod seiner Eltern hat er noch lange nicht verwunden. Nachts wacht er immer wieder auf, nassgeschwitzt, als käme er geradewegs aus dem Wasser.«
»Der arme Kerl!«, murmelte Teras. »Wenn ich daran denke, wie diese Ungeheuer Andostaan niedergebrannt haben, dann juckt es mich jetzt noch in den Fäusten. Ich frage mich, was die wohl gerade aushecken. Was werden sie als nächstes anstellen? Ob sie in Richtung Menelon ziehen? Oder ...«
Er brach plötzlich ab. Seine Augen wurden schmal. Enris folgte seinem Blick.
»Da geht jemand über den Strand!«
Enris kniff ebenfalls die Augen zusammen, aber er konnte nichts erkennen. »Wo?«
»Dort hinten, neben dem großen Felsen, der aussieht wie ein umgestürzter Kegel. Der kommt genau auf uns zu! Moment mal, das ist ja eine Frau.«
Enris beugte sich weit über die Reling, als ob ihm das helfen würde, schärfer zu sehen. Nach einer Weile fiel ihm die Gestalt auf, die über den Strand lief. Bald hatte sie die Wasserlinie erreicht. Die Flut hatte noch nicht begonnen, hereinzurollen, und der Weg zur Tjalk war frei. Beide Männer beobachteten, wie die Fremde an der Wasserlinie innehielt und zu Boden sah. Mit einer ungeduldigen Handbewegung strich sie sich ihre vom Wind zerzausten, schwarzen Haare aus dem Gesicht und begann, einen ersten Schritt auf den weichen Wattboden zu setzen. Dann einen weiteren, einen dritten. Zuletzt beschleunigte sie ihren Gang. Die Abdrücke ihrer Stiefel malten eine deutlich sichtbare Spur, eine Linie, die zu der Tjalk führte.
»Die will tatsächlich zu uns.« Teras hob seine Arme, um der Frau zuzuwinken.
»Achar! Wer bist du?«
Die Fremde blieb einige Fuß vor der Suvare stehen und hob ihren Kopf, bevor sie wortlos weiter ging. Sie war nun nahe genug, dass Enris ihr Gesicht erkennen konnte. Er begriff nicht gleich, weshalb ihm die Frau in dem knöchellangen rotbraunen Kleid, den schweren Stiefeln und der fellbesetzten Jacke aus gegerbten Leder bekannt vorkam. Dann dämmerte es ihm, und seine Augen weiteten sich erstaunt.
Der Bootsmann hatte mit seinem Ausruf die Aufmerksamkeit der anderen an Deck erregt. Tolvane und Larcaan, die am Bug miteinander in ein Gespräch vertieft gewesen waren, traten neugierig näher, um zu sehen, wem Teras‘ Aufmerksamkeit galt.
»Wer ist denn das?«, wollte der Ratsherr wissen.
Aber weder Enris noch Teras achteten auf die beiden Männer. Die Fremde stand inzwischen dicht vor der Bordwand. Ihr Gesichtsausdruck war wie versteinert. Sie musterte die Tjalk, als hätte sie ein wildes Tier vor sich, bei dem sie sich nicht sicher sein konnte, ob es sich nicht mit einem Mal brüllend auf sie stürzen würde. Schließlich hob sie den Kopf und blickte Teras an. »Ich muss zu euch! Es ist wichtig!«
Ihre Stimme klang rau, mit einem schweren Akzent, den Enris nicht kannte. Teras blickte ihn verwirrt an, als könnte der junge Mann ihm erklären, was die Fremde von ihnen wollte. Er schien
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