Runlandsaga - Feuer im Norden
musterte Suvare angespannt. »Seid Ihr hier die Anführerin? Ich muss mit eurem Anführer sprechen. Es ist sehr wichtig. Runland ist in großer Gefahr.«
»Ich bin Khor auf diesem Schiff«, sagte Suvare. »Das heißt«, setzte sie hinzu, als Neria sie verständnislos ansah, »dass ich hier das Sagen habe. Aber ich glaube, du willst mit jemand anderem sprechen. Ich bringe dich zu ihm.«
»Ist das wirklich klug?«, mischte sich Teras ein. »Woher wollen wir wissen, dass sie wirklich die Wahrheit sagt?«
»Wenn einer das herausfinden kann, dann ist es Arcad.« Suvare sah Neria prüfend an. »Folge mir. Enris, du auch.«
Die Umstehenden machten den dreien Platz, als sie über das Deck der Tjalk zur Khorskajüte gingen. Suvare öffnete die Tür und ließ Enris eintreten. Neria zögerte kurz, bevor sie ihm folgte.
Der Raum war dunkel. Suvare öffnete die Fensterläden, um etwas Licht hereinzulassen. Als sie dies tat, rührte sich Arcad unter seiner Decke und öffnete die Augen. Enris trat zu ihm, während Neria in der Nähe der geschlossenen Tür stehen blieb.
»Hallo, mein Junge«, flüsterte der Elf mit schwacher Stimme. »Ich bin wohl etwas weggedöst.«
»Habt Ihr nicht einmal gesagt, nur die wenigsten von euch würden schlafen?«
Der Elf lächelte. »Das stimmt auch. Wahrscheinlich bereitet sich mein Körper auf das vor, was ihr Temari ›den großen Schlaf‹ nennt.«
»Bitte redet nicht so!«, sagte Enris eindringlich.
»Wozu es leugnen? Ich fühle, dass mein Tod immer näher rückt. Er steht schon hier im Raum.«
Suvares Blick schnellte unwillkürlich zu Neria hinüber. Arcad, dem dies nicht entgangen war, schüttelte langsam seinen Kopf.
»Ich meine nicht das Mädchen dort. Obwohl sie natürlich damit zu tun hat. Dass sie hier ist, bedeutet, dass ich meinen Kampf, am Leben zu bleiben, endlich aufgeben kann.«
Enris konnte nicht anders, als Arcads Kaltblütigkeit zu bewundern. Er mochte beinahe wie ein Mensch aussehen, aber dies war wieder eine jener Gelegenheiten, bei denen es völlig klar wurde, wie verschieden die Erstgeborenen von den Menschen waren. Selbst an der Schwelle zum Tode besaß der Verstand dieses Elfen noch die Schärfe einer geschliffenen Klinge.
»Glaub mir, Junge«, fuhr Arcad fort, »ich wusste schon, dass mein Ende nahte, als ich damals halbtot an den Strand von Andostaan geschwemmt wurde. Ich konnte wie durch einen Schleier aus Nebel das Netz der Schicksalsherrin sehen.«
Er hob seine rechte Hand, die schwach zitterte, und zog sie langsam dicht vor seinem Gesicht vorbei, bevor er sie wieder auf die Decke fallen ließ. »Meine Augen waren weit offen. Dann wachte ich in der Meeresburg in einem fremden Bett auf, und mir war klar, dass ich nur ein wenig mehr Zeit geschenkt bekommen hatte. Als es Ranár im Quelor nicht gelang, mich ein zweites Mal zu töten, war dies nur eine weiterer Aufschub. Jetzt habe ich die Fäden des Netzes lange genug gedehnt. Ich liege wieder in einem fremden Bett. Der Kreis schließt sich.«
Er versuchte, sich aufzusetzen, aber es gelang ihm erst, als Enris ihm dabei half und ihm ein Kissen in den Rücken schob. Er winkte matt mit seiner Hand in Nerias Richtung. »Komm her, Mädchen. Du hast einen weiten Weg hinter dir, und wir haben keine Zeit mehr für eine lange Plänkelei.«
Sie schritt durch den Raum an Enris Seite und blickte erstaunt auf den Elfen herab. »Ihr seid ja ein Endar.«
»Es ist freundlich von dir, dass du mich mit dem Namen versiehst, den wir uns selbst gegeben haben. Die meisten nennen uns ›Erstgeborene‹ oder ›Elfen‹. Das erste Wort ist noch angemessen, das zweite hat mir nie gefallen. Nur weil es in der verlorenen Welt eurer Vorfahren Geschichten von Waldgeistern mit spitzen Ohren gegeben hat ... aber was rede ich da! Jetzt bin ich es, der Geplänkel betreibt.«
Er lachte keuchend. Enris, der ihn noch nie so erlebt hatte, wunderte sich, während Arcad fortfuhr. »Und du bist also eine der Voron. Ich hatte dich während des Sturms nicht lange genug gespürt, um das zu erkennen, aber jetzt ergibt alles einen Sinn. Deshalb konntest du uns so schnell und zielsicher finden.«
Neria nickte. »Der Wächter meines Stammes leitete mich. Ihr alle wart in meinem Kopf wie der Geruch einer Beute, wenn ich bei Vollmond auf der Jagd bin.« In Gegenwart des Elfen hatte ihre Stimme alles Zögern verloren. Sie sah die Anwesenden im Raum einen nach dem anderen an, bevor sie weiter sprach. »Aber nun kann ich seine Kraft nicht mehr fühlen.
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