Runlandsaga - Feuer im Norden
Serephin dem Vortex. In regelmäßigen Abständen nahm seine Helligkeit ab und verlöschte wie eine Flamme, um nach einigen Stunden wiederzukehren – eine Erscheinung, die »das neue Licht« genannt wurde. Wenn das Leuchten aus den Tiefen des Vortex verschwand und Dunkelheit über Vovinadhár hereinbrach, nahm auch die Magie ab, die aus den Tiefen des Wirbels emporstieg. Dies geschah nie in einem so starken Ausmaß, dass die fliegenden Felsen mit den auf ihnen erbauten Städten in Gefahr gewesen wären, abzustürzen. Doch es war nachts immer anstrengender und ermüdender, die Kraft der Magie zu nutzen. Die meisten Serephin begaben sich daher zur Ruhe, wenn die blutende Himmelsfarbe dem schwarzen Meer der Sterne wich.
Mit einem Mal schälte sich in der schwächer werdenden Melodie der Stimmen eine Tonfolge heraus, die Alcarasán erkannte. Die Töne waren wehmütig, durchsetzt von verhaltener Trauer, jedoch klar und voller Kraft. Dort unten rief jemand nach ihm. Nur einen Verwandten oder engen Freund hätte er hoch über der Stadt kreisend sofort ausmachen können. Es erstaunte und bestürzte ihn, wie gut er selbst nach den langen Jahren in der Fremde in der Lage war, diesen Ruf zu vernehmen. Obwohl ihre Stimme in all der Zeit nur eine Erinnerung gewesen war, hatte sie seinen Verstand sofort erreicht.
Ich komme, Aneirialis!
Er ließ sich wie ein Stein in die Tiefe fallen. Die spitz zulaufenden, schlanken Türme wuchsen ihm entgegen, immer höher, bis er in die dämmerungsdunklen Fenster hineinzurasen schien. Pfeilschnell flog er an den äußeren Bereichen Gotharnars vorbei und auf den Bezirk des Feuertempels in der Mitte der Stadt zu. Inzwischen hatte er die Augen wieder geschlossen und richtete seinen Verstand völlig auf die Melodie, die seinen Namen gerufen hatte. Obwohl sie nur ein einziges Mal ertönt war, hallte ihr Echo noch immer von den Wänden seines Geistes wider und hinterließ eine allmählich verklingende Spur, die in der Dunkelheit vor seinen Augen wie ein heller, golden glänzender Faden aufleuchtete. Sie führte ihn sicherer und schneller an sein Ziel, als er es sehend hätte erreichen können. Außerdem kannte er Gotharnar. Die Stadt hatte sich seit seines Fortgangs kaum verändert.
Genau vor ihm befand sich nun die Fassade des Feuertempels, ein viereckiges Gebäude mit einer hohen halbkugelförmigen Kuppel in seiner Mitte. Es war das einzige Bauwerk der Stadt, dessen Wände kein Weiß aufwiesen, sondern weithin dunkelrot leuchteten. Inzwischen flog Alcarasán so tief, dass sein Verstand wahrnahm, wie die Melodie des Rufs von der breiten Vorderfront abprallte, die sich wie ein Berg vor ihm auftürmte. Bisher war der Blindflug nicht schwierig gewesen. Der Rest des Weges würde ebenso einfach werden. Mit immer noch geschlossenen Augen wandte sich der Serephin nach rechts. Diesmal bemerkte er, wie der Ruf, dem er folgte, von einigen Gestalten zurückgeworfen wurde, die in seine Richtung gingen. Wahrscheinlich waren es Priester, die auf den Eingang zugingen, weil sie das Abendgebet vorbereiteten. Er schlug einen Bogen um die Gruppe und umrundete, sich nun wieder dicht an der Fassade haltend, das Gebäude.
Das Haus seiner Familie stand auf einem Hügel umweit der Tempelrückseite
Erst kurz bevor Alcarasán wieder durch das Turmfenster segelte, von dem aus er seinen Flug begonnen hatte, öffnete er die Augen. Vor ihm bewegte sich eine Gestalt vom Fenster weg, um ihm nicht im Weg zu stehen. Er zog seine Schwingen so weit ein, dass er ohne Schwierigkeiten durch die Öffnung passte, glitt in einem flachen Winkel in den Raum und ließ sich auf dem Boden nieder.
»Ich konnte hören, wie du umgekehrt bist«, sagte Aneirialis. Sie breitete ihre Arme aus. Die hellroten Schuppen ihres Gesichts glänzten matt im schwindenden Licht des Abends. Alcarasán richtete sich auf und ließ sich von ihr umarmen, wobei er seine echsenartige Gestalt beibehielt und nur die Drachenschwingen wieder in seinem Körper verschwinden ließ, wie fast alle Serephin, wenn sie nicht flogen.
»Und ich habe deinen Ruf gehört«, murmelte er, seinen Kopf an der Schulter seiner Mutter.
Sie hielt ihn einen Moment länger, ließ ihn schließlich los und blickte aus dem Fenster. »Ich wollte eigentlich ein Fest abhalten, um deine Rückkehr zu feiern. Meranjo hatte schon den Auftrag, unseren Verwandten und all deinen Freunden Einladungen zu überbringen.«
Sie musterte die Umrisse der Gebäude unter ihnen, als suche sie angestrengt nach
Weitere Kostenlose Bücher