Runlandsaga - Feuer im Norden
sollte ihn herauslocken. Und das hat er auch wunderbar geschafft, nicht wahr, mein Schatz? Bist immer schön in Reichweite geblieben und hast ihn lange genug abgelenkt, dass ich in das Cairan hineinsteigen konnte. Braver Kerl!«
Das Tier starrte sie aus seinen dunklen Vogelaugen an wie ein gnädiger König einen geschätzten, aber etwas einfältigen Untertan.
Schließlich riss die alte Frau ihren Arm in die Höhe, und der Falke schoss in die Luft, um sich in einigen Fuß Entfernung auf einem niedrig hängenden Eichenast niederzulassen.
Sarn erhob sich stöhnend. »Entweder werde ich wirklich langsam alt und schwach, oder Larnys ist tatsächlich schwerer als ein Kalb. Wir sollten fort von hier, bevor wir so erschöpft sind, dass wir uns nicht mehr auf den Beinen halten können. Wenn du willst, kannst du heute Nacht unter meinem Dach schlafen.«
Neria dankte Sarn für deren Angebot. Sie war sich bewusst, dass sie abgelehnt hätte, wenn sie auch nur etwas mehr bei Kräften gewesen wäre. Denn obwohl diese Frau ihr das Leben gerettet hatte, so saß das Misstrauen gegenüber Menschen, das Neria von Kindesbeinen an gelehrt worden war, tief in ihr. Doch ihre Glieder schmerzten, ihre Schulter brannte wie Feuer, und der Gedanke, nach Tagen wieder auf Stroh anstatt im Freien zu schlafen, war verlockender als jeder Vorsatz, den Umgang mit Menschen zu vermeiden.
Sie erhoben sich und schleppten sich den Hügel hinab, gefolgt von dem zahmen Falken, der ihnen in einigem Abstand folgte und sie überholte, um auf einem der Bäume in unmittelbarer Nähe wieder auf sie zu warten und erneut loszufliegen.
Die wolkenverhangene Nacht machte es den beiden Frauen schwer, vorwärtszukommen. Sarns Fackel war heruntergebrannt, weswegen sie immer wieder über Wurzeln oder größere Steine stolperten. Einmal fiel die alte Frau tatsächlich der Länge nach hin. Nur mit Mühe gelang es Neria, ihr wieder aufzuhelfen. Im nahen Unterholz hatten sie zwei lange, abgestorbene Buchenäste gefunden, auf die sie sich stützten, damit ihnen die Beine nicht so oft den Dienst versagten.
So gelangten sie schließlich an den nördlichen Fuß des Hanges, auf dessen Spitze die Riesenfelsen und das Hügelgrab standen. Von dort aus, versicherte Sarn ihr keuchend, seien es bloß noch etwa zwei Meilen bis zu ihrer Hütte. Neria, die kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte, nickte nur stumm. Ihr Geist hatte einen Grad an Entkräftung erreicht, an dem sich dieser fast völlig aus ihrem Körper zurückgezogen hatte, um sie wie eine willenlose Puppe vorantorkeln zu lassen. Dass ihre wunden Füße schmerzten, spürte sie kaum noch. Sie hob und senkte sie ein ums andere Mal, hinter Sarns schattenhafter Gestalt durch den finsteren Wald trottend und auf nichts weiter achtend, als auf die eintönigen Geräusche ihres keuchendes Atems und das Auf und Ab ihrer Schritte, die ihr allmählich so laut wie grollender Donner in den Ohren zu dröhnen begannen.
Als die alte Frau endlich nach einem letzten Wegstück, das fast nur aufwärts verlaufen war, stehen blieb, prallte Neria mit gesenktem Kopf gegen sie und fiel hintenüber. Nur schemenhaft nahm sie wahr, wie Sarn ihr unter den Arm griff, sie ächzend hochzog und ihr ins Innere eines Gebäudes half. Sie glitt auf ein weiches Lager und fühlte, wie ihr vor Erleichterung darüber, endlich nicht mehr stehen zu müssen, Tränen über die Wangen flossen. Noch bevor sie sich ihrer Kleider entledigen konnte, war sie bereits in einen tiefen, traumlosen Schlaf gefallen.
9
Themet stieß sich im Rennen das Knie an einem hervorstehenden Brett, das auf einer Kiste lag und in den Gang hineinragte. Aber obwohl heißer Schmerz sein Bein hinaufschoss, verringerte der Junge weder seine Geschwindigkeit, noch gab er irgendeinen Laut von sich. Es war ihm, als wäre sein Kopf völlig leer, bis auf die Gesichter seiner toten Eltern. Das Bild des blutverschmiertem Halses seiner Mutter, in den sich der Schaft eines Pfeils gebohrt hatte, makellos gerade, geglättet und mit Federn versehen, um seiner grässlichen Bestimmung so gut wie nur möglich nachzukommen, schrie lauter durch seinen Geist als ein aufgeschlagenes Knie.
Themet hatte im Dunkeln gelegen und angestrengt mitgehört, wie die drei Erwachsenen leise über seine Eltern geredet hatten. Dann hatte er es einfach nicht mehr ausgehalten. Ay, er war tatsächlich wütend auf Enris. Nicht, weil sein Vater dabei umgekommen war, als er versucht hatte, dem jungen Mann zu helfen, sondern
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