Runlandsaga - Sturm der Serephin
allmählich drang über den lähmenden Anblick des Toten die Wut auf diesen rothaarigen Dummkopf zu ihm durch.
»Aber du wolltest ja unbedingt was erleben!« Er deutete auf die Leiche. Der Speichelfaden fiel von seinem Kinn ab, ohne dass er ihn bemerkte. »Reicht dir das jetzt an Erlebnissen?«
Mirka blickte ihn weiter unverwandt an, ohne etwas zu erwidern.
»Los, verschwinden wir!«, zischte Themet.
»Nicht doch!«, meldete sich jemand hinter ihm zu Wort.
Die beiden Jungen fuhren herum.
Eine Gestalt trat aus dem Schatten des Torbogens. Bereits einen Lidschlag, bevor ihre Gesichtszüge erkennbar wurden, wusste Themet, wer es war. Er würde diese Stimme niemals vergessen, davon war er überzeugt. Nicht bis zum Ende seines Lebens.
»Keiner rennt mir davon, verstanden?«, sagte Sareth. In seinen Händen funkelte das kalte Eisen eines Schwertes. Seine Augen blitzten sie scharf an. »Ich hab keine Lust, euch hinterherzulaufen. Also bleibt gefälligst stehen, dann passiert euch vielleicht nichts.«
Mirka starrte ihn nur mit offenem Mund an, so wie er eben die Leiche des Wachmanns angestarrt hatte. Die großmäuligen Sprüche waren ihm ausgegangen. Themet fragte sich, wo Sareth hergekommen war. Gleichzeitig fiel ihm die offen stehende Tür in der Steinmauer des Durchgangs auf.
Anscheinend hatte der Kerl sich die ganze Zeit über in einem der Wachräume befunden. Sie waren wie blind an ihm vorbeigerannt.
Sareth trat auf ihn zu, holte aus und schlug ihm hart ins Gesicht. Themets Kopf flog ruckartig zurück. Er schrie auf, weniger vor Schmerz als vor Schreck. Mirka stand immer noch wie angewurzelt am selben Fleck und stierte die beiden an wie ein Zuschauer bei einem besonders spannenden Theaterstück.
»Das ist für den Ärger, den du mir gestern gemacht hast, du kleiner Dreckskerl!«, zischte Sareth. Ein böswilliges Lächeln spielte um seinen Mund.
»Wo ist denn dein großer Freund abgeblieben? Hast ihn diesmal ja gar nicht mitgebracht, dabei schulde ich ihm noch was!«
Themets Blick glitt bei den Worten des Mannes unwillkürlich zurück zu dem Toten zu seinen Füßen, was Sareth nicht entging.
»Ay, schau ihn dir gut an! Sollte ich auch nur das leiseste Jucken kriegen, dass du wieder wegrennen willst wie gestern, kannst du dich gleich neben ihn legen.«
Er wandte sich dem anderen Jungen zu.
»Das gilt auch für dich, du rothaariges Mondkalb!«
Mirka schloss den Mund mit einem Gesichtsausdruck, der Themet vorkam, als fühlte er sich allen Ernstes von Sareth beleidigt.
»Was wollt Ihr von uns?«, stieß er hervor.
»Du stellst mir keine Fragen!«, entgegnete Sareth scharf. Er drehte sich halb in Richtung des Torbogens um und stieß einen scharfen Piff aus. Nur wenige Momente später kamen zwei weitere Männer hinter der offenen Tür im Durchgang hervor. Themet erkannte sie. Gleichzeitig packte ihn trotz all des Schrecklichen, das er erlebte, ein noch viel unheimlicheres Gefühl, nämlich die Empfindung, in der Zeit zurückgesprungen zu sein. Er wähnte sich wieder der dunklen Lagerhalle vom Vorabend, wieder umzingelt von denselben Männern. Auch das helle Sonnenlicht im Innenhof von Carn Taar konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass diesmal kein Enris auftauchen würde, der mit ihm in den Regen hinauslaufen würde. Der vergangene Abend war zurückgekehrt, aber diesmal, mit den Schuhen im Blut des toten Wachmanns stehend, war Themet ohne Hilfe. Verzweifelte Tränen schossen ihm in die Augen, die er nicht zu unterdrücken vermochte.
17
»Der Schlüssel?«, fragte Margon. »Was ist damit gemeint, dass die Menschen der Schlüssel sein mögen?«
Arcad hatte eine Weile geschwiegen. Der Harfner hatte seine Frage in die gespannte Stille hinein gestellt, die im Turmzimmer herrschte. Nun hob der Elf den Kopf und sah seine Zuhörer unverwandt an.
»Ihr wisst es nicht, oder? Wir Erstgeborenen haben euch viel über unsere Geschichte erzählt, zumindest über den Teil unserer Geschichte, der sich in Runland abspielte, denn genauso wie ihr stammen wir ursprünglich nicht von dieser Welt, wenn das euch Temari auch nicht bekannt sein dürfte.
Eure Vorfahren kamen auf der Flucht vor der Vernichtung in diese Welt. Da ihr kaum noch eine Geschichte hattet, an die ihr euch erinnern konntet, erzählten wir euch unsere eigenen driárin und nydhérin – was ihr in eurer Sprache Sagen und Mythen nennt. Ihr habt viel von unserem Glauben an die Herrin des Netzes übernommen.« Er hob die rechte Hand und führte sie in einer
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