Runlandsaga - Sturm der Serephin
flüsterte er. »Sind die denn völlig verrückt geworden?«
»Sieh mal!«, gab Mirka zurück.
Der Fremde war wieder im Torbogen aufgetaucht. Nun winkte er zu dem Eibengehölz hinüber. Die drei Männer, die sich dort versteckt hatten, erhoben sich und eilten über die Zugbrücke. Alle vier verschwanden im Dunkel des Eingangs.
»Was hat der bloß gesagt, dass sie ihn reingelassen haben?«, murmelte Themet.
»Egal was, jedenfalls sind sie jetzt drin«, erwiderte Mirka. Er richtete sich auf. »Los, hinterher!«
Bevor sein Freund etwas entgegnen konnte, rannte er in Richtung der Festung los. Themet wollte ihm nachrufen, hier zu bleiben, doch das erschien ihm zu laut. Selbst auf diese Entfernung wollte er nicht riskieren, dass die Männer im Inneren von Carn Taar auf sie beide aufmerksam wurden. Er setzte sich ebenfalls in Bewegung und folgte Mirka, der bereits über das Holz der Zugbrücke hastete.
Gleich darauf war auch er am Rand der Klippe angelangt und lief über den Abgrund. Wie am Vortag, als er zusammen mit seinen Freunden Thaja aufgesucht hatte, sah er nur stur hinunter auf die Bohlen zu seinem Füßen, während er sie überquerte, und vermied es, nach rechts oder links zu blicken, wo es in die Tiefe ging und das schwache Rauschen der Wellen zu hören war, die sich an den Felsen brachen. Er hatte Höhen nie gemocht. Als er noch alleine außerhalb der Stadt gespielt hatte, war er für gewöhnlich nur zum Strand gegangen, wo sich das Meer als ebene Fläche zum Horizont hin erstreckte. Selbst bei jenen Gelegenheiten, zu denen er mit seinen Freunden auf die Klippen geklettert war, hatte er darauf geachtet, nicht zu nahe an den Rand zu gelangen, sondern hinter den beiden anderen Jungen zu bleiben.
Schließlich hatte er den Torbogen erreicht und sah wieder geradeaus. Einige Meter vor ihm stand sein Freund mit dem Rücken zu ihm am Eingang zum Innenhof.
Er fragte sich, weshalb Mirka plötzlich angehalten hatte. Im selben Augenblick durchfuhr ihn wie ein leuchtender Blitz an einem düsteren, wolkenverhangenen Himmel die Erkenntnis, dass hier irgendetwas überhaupt nicht stimmte. Warum hatte der Torwächter eigentlich keinem von ihnen zugerufen, was sie hier wollten? Er hatte doch auch mit dem Fremden geredet!
Themet blieb kurz vor Mirka stehen, der sich immer noch nicht bewegt hatte. Er öffnete den Mund, um ihn anzusprechen, als sein Blick auf den Steinboden vor Mirkas Füßen fiel.
Auf dem Pflaster am Rand des Innenhofs lag ein Wachmann auf dem Rücken. Seine Augen waren starr und weit geöffnet. Er schien angestrengt die Schwarze Nadel und den wolkenlosen Himmel dahinter zu betrachten. Eine grotesk große Schnittwunde, die beinahe von Ohr zu Ohr führte, klaffte an seinem Hals. Das ausgetretene Blut hatte sich um den Kopf herum auf den Steinplatten verteilt und leuchtete hell im Sonnenlicht. Auch die Kleidung des Mannes war über und über mit Blutspritzern bedeckt.
Themets Blick konnte sich nicht von dem des Leichnams lösen. Hätte er sich in diesem Moment selbst betrachtet, wäre ihm die Ähnlichkeit mit dem starren Blick des Toten aufgefallen.
Der Junge kannte ihn. Es war Valgat, von dem Mirka den Schwertkampf hatte lernen wollen. Erst gestern waren sie an ihm vorbeigerannt, als sie die Festung betreten hatten. Der Mann hatte gelacht, daran konnte Themet sich noch erinnern.
Und nun lag er in einer unglaublich großen Lache seines eigenen Blutes auf dem Boden.
Themet versuchte, etwas zu sagen, irgendeinen Satz, der seine Überraschung und sein Entsetzen ausdrücken sollte, doch aus seiner Kehle drang nur ein trockenes Würgen. Er hörte das Geräusch, das seinen Magen noch stärker als der Anblick der Wunde und des vielen Blutes bewog, sich umzudrehen. Themet wandte sich zur Seite und erbrach einen Schwall halb verdauter Rühreier, der gegen den Fuß des Torbogens spritzte.
Endlich drehte Mirka sich zu ihm um. Er war bleich wie eine getünchte Wand. Die Sommersprossen stachen aus seinem blutleeren Gesicht hervor wie Krater. Er betrachtete Themet, der immer noch vornüber gebeugt und würgend dastand, aber er schien durch ihn hindurchzublicken wie durch Glas.
»Die haben ihn umgebracht!«, stieß Mirka mit einer eigenartig hohen, ungläubig klingenden Stimme hervor. »Valgat ist tot. So ein verdammter Mist!«
Themet richtete sich langsam auf und funkelte ihn an. Ein Speichelfaden baumelte von seinem Kinn, ohne sich zu lösen.
»Ich – ich hab dir doch gesagt, dass die gefährlich sind!«
Nur
Weitere Kostenlose Bücher