Runlandsaga - Sturm der Serephin
Wenn die Augen seines Geistkörpers gesehen hatten, wie die Steine gefallen waren, dann hatte Enris‘ Verstand es ebenfalls wahrgenommen. Margon versuchte, ihn im Geiste zu beruhigen, aber es war zu spät. Er fühlte, dass er die Verbindung zu ihm verloren hatte. Enris wich in Richtung des äußeren Portals zurück, vor dem Arcad saß. Themet und Mirka hatten ebenfalls die Augen geöffnet und sahen dem jungen Mann erschrocken nach. Auch sie begannen, sich zu erheben.
Halte sie nicht auf! schrie Thaja ihm wortlos zu. Wir dürfen die Mauer nicht einstürzen lassen! Denk nur an die Mauer!
Margons Geist kämpfte gegen das entsetzliche Heulen an. Seine Gedanken richteten sich erneut auf den wirbelnden Strudel magischer Kraft, in dessen Innerem sie sich befanden. Er sog sie in sich auf, bis er glaubte, der Sturm, der durch sein Selbst tobte, würde ihn in tausend Stücke zerbersten lassen.
Vor ihm stürzten weitere Steine von der Mauer, die wie unter heftigen Schlägen schwankte. Das Heulen des Serephin war zu einem Rammbock aus misstönenden Geräuschen angewachsen, der mit solcher Wucht gegen das schwarze Bollwerk anrannte, dass selbst die durchscheinende Brücke erzitterte.
Ich kann den Schutzwall nicht halten! , durchfuhr es Margon. Ranár ist einfach zu stark. Er kann die Kraft der Sphäre genauso anzapfen und lenken wie ich!
Da blitzten vor seinen Augen die Mauern des Turmes auf. Seines Turmes. Der Turm war Stärke. Der Turm war Sicherheit. Er hatte ihn einmal gewählt, vor langer Zeit, in einem Augenblick höchster Not. Er würde ihn wieder wählen, immer wieder.
Margon ließ das Bild des Turmes, der ein Abbild seiner selbst war, vor sich entstehen. All seine Gedanken richteten sich auf ihn.
Stärke, die aus Schweigen erwächst.
Eherne Ruhe.
Beständigkeit.
Das Bild füllte sich mit Leben, und die aufgestaute Kraft, die sich ihren Weg aus ihm herausbahnte, warf ihn regelrecht zurück. Plötzlich verschwamm die zerberstende Mauer vor ihm. Eine Flut aus Helligkeit spülte über ihn hinweg. Das entsetzliche Geheul, das der Serephin von sich gab, schrumpfte schlagartig zu einem kaum vernehmbaren, zornigen Summen.
Moranon stand unter freiem Himmel auf der höchsten Ebene seines Turms. Kalte Sterne funkelten zwischen den mannshohen Zinnen.
Als er an sich hinabblickte, stellte er fest, dass er eine lange, braune Robe trug.
Er war wieder zu Moranon, dem Schattenwanderer, geworden. Er hatte die Geistwelt seines Turms betreten.
20
»Das also ist dein Rückzugsort«, sagte Thaja neben ihm.
Er wandte sich ihr zu. Auch sie trug eine Robe, die ihr fast bis auf zu den nackten Füßen reichte. Doch die Farbe ihrer Robe besaß die Schwärze ihres Haars. Ihm fiel auf, dass alle grauen Strähnen aus Thajas Haaren verschwunden waren. Sie sah wieder genauso aus wie an jenem Tag vor so vielen Jahren, als er ihr zum ersten Mal begegnet war.
»Was ist passiert?«
»Es war die einzige Möglichkeit, Ranár aufzuhalten«, antwortete Margon. »Ich habe die Mauer in den Turm verwandelt. In meinen Turm. Das stärkste und sicherste Gebäude, das ich mir vorstellen konnte. Jetzt steht es zwischen ihm und uns. Vielleicht verschafft es uns etwas Zeit, bis Arcad soweit ist.«
Thaja führte eine Hand vors Gesicht und betrachtete sie interessiert.
»Das ist anders, als in meinem Geistkörper zu stecken. Meine Hand sieht so ... so wirklich aus. Es ist fast, als wäre ich wieder zurück in meinem Körper.«
»Ay, die Welt, die der Schattenwanderer sich hier erschaffen hat, ist sehr eindrücklich«, meldete sich eine freundliche Stimme zu Wort.
»Myrddin!«
Moranon fuhr herum. Er hatte sich nie daran gewöhnen können, zu diesem unsichtbaren Wesen zu sprechen, ohne nicht in die Richtung zu reden, aus der er dessen Stimme vernahm.
»Wer sich hier länger aufhält, für den kann dieser Ort so wirklich werden wie die Welt seines stofflichen Körpers«, sagte Myrddin. »Sicher etwas verwirrend, doch bestimmt nicht für eine Frau wie Euch. Seid gegrüßt, Thaja, Tochter von Orrit!«
Thaja blickte furchtlos in die Richtung, in die auch Moranon sich gewandt hatte.
»Seid gegrüßt, Myrddin, Freund meines Mannes, den Ihr den Schattenwanderer nennt!«
Im selben Moment ertönte ein Ohren betäubendes Donnern. Gleichzeitig durchlief die Grundfesten des Turms ein so starkes Beben, dass es Moranon von den Füßen warf. Thaja gelang es gerade noch, aufrecht stehen zu bleiben. Der Magier landete mit der rechten Seite auf den harten
Weitere Kostenlose Bücher