Runlandsaga - Sturm der Serephin
bleibt: Wir sind verwandt, Moranon. Meine Aufgabe bestand immer darin, dich allmählich zum Erinnern zu bringen. Aber das hast du sicher längst erahnt.«
Das Gesicht des alten Magiers war starr vor Überraschung. Thaja sah ihn wortlos an, ihre Miene ein Spiegel seiner eigenen Verwirrung.
»Du – verwandt mit mir?«, rief Moranon. »Warum hast du mir das nicht schon viel früher gesagt? Es gibt noch so viel, das ich dich nie gefragt habe, so viele Dinge, die ich über dich und von dir erfahren wollte!«
»Wenn du auf all deine Fragen Antworten haben wolltest, müsstest du ewig leben«, gab Myrddin zurück. »Du wirst ertragen müssen, dass manches für dich unbeantwortet bleibt. Ay, einst warst du Margon der Harfner, ein junger Mann, den das Wissen um die Verborgenen Dinge anzog. Du hast die Schwarze Harfe Syr erhalten, deinen Turm entdeckt und wurdest für eine Zeit mein Schüler als Moranon, der Schattenwanderer. Du hast den Dunklen Herrscher Nodun zurückgeschlagen und wurdest ein Magier, vielleicht sogar einer der größten, die Runland je gesehen hat.«
Die Schläge peitschten mittlerweile im Takt eines Trommelwirbels auf den Turm ein. Margon und Thaja hatten Mühe, aufrecht zu stehen. Das hasserfüllte Wüten Ranárs schien überall um sie herum zu tosen. Myrddins Stimme fuhr leiser, aber umso eindringlicher fort:
»Doch ist dir bei all dem, was du in deinem Leben erreicht hast, jemals in den Sinn gekommen, dass du nur ein winziger Faden im gewaltigen Netz der Herrin des Schicksals bist? Eine Hand voll Sternenstaub, verloren im Schein gigantischer Sonnen, tausendmal größer als du, und dabei jede selbst wiederum nur ein winziger glitzernder Punkt, Tautropfen in einem Netz, dessen Umfang jede Vorstellung übersteigt!
Möglicherweise ist dies die größte Prüfung, die dir als Magier von der Träumenden Cyrandith auferlegt werden kann: Jetzt, in diesem Moment, all deinen unerledigten Aufgaben und rastlosen Fragen den Rücken zu kehren und von der Bühne des Schicksals abzutreten, vielleicht um Platz zu machen für einen anderen, dessen Weg zu bereiten dein eigentliches Los war, auch wenn du es nie wusstest. Deine Prüfung, Schattenwanderer! Nicht zu wissen, wie die Ereignisse ausgehen werden, in die du am Ende deiner Tage hineingeworfen wurdest. Und auch die Eure, Thaja, die Ihr an seiner Seite steht. Eine Prüfung, auf die jene lange, gewundene Straße eures Lebens immer hingeführt hat.«
Myrddin verstummte.
»Dann sag mir wenigstens noch dies eine!«, rief Moranon. »Als ich letztes Mal zu meinem Turm gereist bin, da habe ich dir von der Fliegenden Stadt berichtet, in die es mich verschlagen hatte. Du wolltest mir damals nichts von diesem Ort erzählen. Ich war in der Welt der Serephin, nicht wahr? Verrate mir endlich, was du weißt! Wenn wir sowieso sterben müssen, dann kannst du es mir auch offenbaren!«
»Glaub nicht, es sei mir leicht gefallen, dich hinzuhalten«, sagte Myrddin. »Aber ich hatte die Befürchtung, du könntest noch nicht ganz bereit für die Wahrheit sein. Ich wollte dich langsam auf diese Offenbarung vorbereiten. Ay, du warst in Vovinadhár.«
»Du kennst die Serephin?«
»Ich kenne sie, weil ich ein Teil von dir bin, Schattenwanderer.«
»Was sagst du da?«, rief Moranon erregt.
»Du hast mich gehört. Wir sind nicht nur verwandt, wir gehören zueinander wie die beiden Schalen einer Nuss. Deshalb wusste ich immer um die Serephin. Und du selbst weißt um sie, weil du ebenfalls ein Serephin bist. Ursprünglich waren wir beide ein einziges Wesen. Du hast dich vor langer Zeit entschieden, im Körper eines Menschen nach Runland zu gehen, um deiner Aufgabe gerecht zu werden: den Menschen im Verborgenen zu helfen, sich weiter zu entwickeln, damit sie eines Tages die Prophezeiung erfüllen und das alte Gleichgewicht der Urkräfte wieder herstellen würden. Zu diesem Zweck hat du das größte Opfer dargebracht, das einer unserer Art geben kann: Du hast für eine lange Zeit darauf verzichtet, ein Serephin zu sein.
Dein Geist wurde in Runland in einem menschlichen Körper wiedergeboren. Doch das hat dazu geführt, dass du deiner Erinnerung beraubt wurdest. Als Mensch hattest du bis auf ein paar wirre Träume fast alles von deiner Vergangenheit als Serephin vergessen. Du wusstest bereits vorher, dass dies geschehen würde, denn du warst nicht der einzige Serephin, der sich jemals unter Menschen begab. Deshalb hast du vorher dafür gesorgt, dass ein Teil von dir all das Wissen um dich
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