Runlandsaga - Sturm der Serephin
soll eine Zwergenfestung sein, vielleicht haben sie auch die Dunkelelfen erbaut. Keiner weiß es genau. Es heißt, dass die Ruine noch immer bewohnt ist. Von Waldgeistern.«
Harcalja hatte belustigt den Kopf geschüttelt. Eine dumme Gespenstergeschichte, darauf lief es immer wieder hinaus. Wie viele von solchen Erzählungen hatte er nicht schon an Lagerfeuern wie diesem gehört, von reichen Jagdgründen, von Minen voller Gold, von Schiffen, die vor der Nordküste untergegangen waren und nur darauf warteten, um ihre Ladung erleichtert zu werden. Und natürlich besaß jeder dieser Schätze seinen Wächter. Die Jagdgründe wurden von Furcht erregenden Ungeheuern durchstreift, die verlassenen Goldminen waren verflucht, die See griff sich Taucher, die sich zu tief hinabwagten.
Er glaubte nicht an Gespenster. In all den Jahren, die er im Roten Wald zugebracht hatte, war er oft in gefährlichen Lagen geraten. Mehr als einmal hatte er um sein Leben gekämpft. Ein Braunbär hatte ihm einst den Oberschenkel aufgerissen, wobei er um ein Haar verblutet wäre. Einmal hatte ihn ein Berglöwe angesprungen und übel zugerichtet, bevor es ihm gelungen war, dem Tier die Kehle aufzuschlitzen. Aber Waldgeister oder Ungeheuer waren ihm nie begegnet. Für ihn lebten sie nur in den steinernen Krügen mit selbstgebranntem Flirin, dem die Fallensteller gerne am nächtlichen Feuer zusprachen, um sich zu wärmen und ihr beschwerliches Dasein erträglicher zu gestalten. Geister waren etwas für Kinder und alte Leute. Er brauchte schnell wertvolle und einfach zu jagende Beute. Wenn diese Gegend, von der Sobar ihm erzählt hatte, reiche Jagdgründe versprach, würde er sie aufsuchen.
Als Harcalja dem Alten von seinem Entschluss berichtete, war ein Teil von ihm überzeugt gewesen, der Mann würde ihn erschrocken beschwören, von einer solchen Torheit abzusehen und sich nicht ins Unglück zu stürzen. So ging es doch in diesen Gespenstergeschichten immer zu, oder? Eine geraunte Warnung in erregtem Tonfall, nicht die Ungeheuer oder Dämonen herauszufordern. Sobar allerdings kam nichts dergleichen über die Lippen. Schon die nüchterne Art, wie er seine Geschichte vorgetragen hatte, war Harcalja vorgekommen, als berichtete der Fremde von etwas so Selbstverständlichem wie den alljährlichen Wanderungen der Elchherden durch die nördlichen Wälder. Und als Sobar hörte, dass Harcalja diesen unheimlichen Ort aufsuchen wollte, hatte er keine Miene verzogen, sondern weiter an seinem Fleisch herumgenagt und schmatzend gemeint: »Es ist deine Entscheidung. Mich geht‘s nichts an, ob auch du dort verschwindest oder nicht. Du wolltest wissen, ob ich reiche Jagdgründe kenne, und ich hab dir gesagt, was ich weiß. Mach damit, was du willst.«
Das entsprach nicht ganz dem, was Harcalja erwartet hatte, aber das Ausbleiben ängstlicher Warnungen, auf die er ohnehin nicht gehört hätte, hatte ihn nicht weiter gestört.
Am nächsten Tag waren die beiden in getrennten Richtungen weitermarschiert, Sobar entlang des Waldrands nach Süden, Harcalja nach Nordosten, auf der Suche nach dem Gebiet, von dem ihm erzählt worden war.
In der folgenden Zeit hatte er nur noch ein einziges Mal einen anderen Fallensteller getroffen, etwa zwei Wochen später. Doch dem unsicher wirkenden jungen Mann war kaum ein Wort entkommen. Ständig hatte er eine Hand auf den Griff seines schweren Jagddolches gelegt, wie um klarzustellen, dass er Harcalja misstraute und bereit wäre, sich zu wehren, sollte dieser plötzlich über ihn herfallen. Von dem Gebiet aus der Erzählung des Alten hatte er dem Anschein nach nie etwas gehört. Mit jedem Moment des einsilbigen Gesprächs verstärkte sich Harcaljas Gefühl, dass sein Gegenüber plötzlich die Waffe gegen ihn richten würde. Deshalb hatte er sich bald wieder verabschiedet und war weitergezogen, nicht ohne einen letzten, argwöhnischen Blick über die Schulter auf den Fremden zu werfen.
Seit dieser Begegnung waren Arcon und Zerva die Einzigen gewesen, mit denen Harcalja Worte gewechselt hatte. Er kannte keinen Fallensteller, der nicht Selbstgespräche führte oder mit seinen Hunden redete, als wären es verständige Menschen. Wenn man in der Wildnis nicht sprach, geriet man in Gefahr, sich völlig in seine eigene Welt zurückzuziehen, in eine Welt der Gedanken, der Stimmen und Geräusche, die niemand anders hören konnte als man selbst, und in der sich die Grenzen zwischen Wahrheit und Einbildung immer stärker zu verwischen
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