Runlandsaga - Sturm der Serephin
Der Flur war dunkel und kalt.
»Thaja?«, rief Margon. Er blieb stehen und lauschte. Mit einem Mal öffnete sich einige Fuß vor ihm auf der linken Seite eine Tür.
»Da bist du ja!«, sagte Thaja, die aus dem Zimmer trat. Sie kam ihrem Mann entgegen und umarmte ihn. Der Magier spürte die Wärme ihres Körpers, die sich gegen den seinen presste. Sofort begann er am ganzen Leib zu zittern.
»Ay, da bin ich wieder«, erwiderte er mit zusammengebissenen Zähnen.
Thaja wich einen Schritt zurück und sah ihn an, ohne ihn loszulassen.
»Du brauchst ein heißes Bad«, stellte sie fest. »Ich werde den großen Kessel aufs Feuer setzen.«
»Es geht schon«, wehrte Margon ab. »Mir reicht es, wenn ich nahe bei den Flammen sitzen kann.«
Thaja schüttelte den Kopf. »Nichts da. Du bist völlig durchfroren. Ich habe keine Lust, mich noch um einen zweiten Kranken zu kümmern.«
»Was ist denn mit dem, der am Strand gefunden wurde?«, erkundigte sich Margon.
Thaja blickte zur Tür, durch die sie eben getreten war. Auf ihrer Stirn erschienen nachdenkliche Falten.
»Es ist eigenartig«, sagte sie eine Spur leiser. »Ich frage mich, wie er überhaupt hierher gelangt ist, und was er in Felgar wollte.«
»Wovon redest du?«, fragte Margon. Er unterdrückte das Zittern seines Körpers. Seine Neugierde war geweckt.
Thaja trat dicht an ihn heran.
»Den anderen ist es nicht aufgefallen, und ich habe nichts gesagt. Ich brauche keine Schaulustigen bei meiner Arbeit. Der Mann ist kein Mensch. Er ist ein Elf!«
»Was?«, stieß Margon überrascht hervor. »Ein Elf – hier im Norden? Das ist mehr als ungewöhnlich! Bis auf wenige Ausgestoßene verlassen sie die Mondwälder nie.«
»Sieh ihn dir selbst an«, forderte Thaja ihn auf. Sie wandte sich zur Tür, um vorauszugehen, drehte sich aber noch auf der Schwelle zu Margon um.
»Willst du dich wirklich nicht lieber erst einmal aufwärmen?«
Der Magier schüttelte den Kopf. »Das hat Zeit. Zeig mir diesen Elfen!«
Sie öffnete die Tür.
Die beiden traten in den Raum, den Thaja für den Kranken eingerichtet hatte. Sofort schlug Margon eine Welle von Wärme entgegen. Flammen loderten hoch in einem Kamin auf, der den ganzen Raum erhellte und die kühle Luft aus diesem unbewohnten Teil der Festung vertrieb.
Das Zimmer war mit einem Stockbett ausgestattet. Thaja hatte das untere der beiden für den Fremden hergerichtet und die Strohunterlage mit einem frischen Bettlaken überzogen. Auf einem Tisch am Kopfende stand eine Schale mit Wasser, neben der mehrere Tücher lagen.
Thaja trat ans Bett und betastete vorsichtig die Stirn des Elfen, der wie zuvor im Schwarzen Anker fast völlig zugedeckt war.
»Er ist immer noch bewusstlos«, sagte sie.
Margon war stehen geblieben. Seine Frau drehte sich zu ihm um und sah, dass er die Augen weit aufgerissen hatte. Er starrte den Fremden im Bett an. Seine Miene schien wie vom Donner gerührt.
»Was ist?«, fragte Thaja, selbst überrascht.
Margon ging wortlos näher und beugte sich über den Elfen.
»Kann das sein?«, murmelte er schließlich. »Es ist schon so lange her ...«
»Du kennst ihn?«, wollte Thaja wissen.
Margon setzte sich aufs Bett. Mit einem Mal fühlte er die körperliche Erschöpfung, die sich immer einstellte, wenn er die Geistwelten bereist hatte, wie ein tonnenschweres Gewicht auf den Schultern.
Wie war das möglich? Er war fortgegangen, vor so vielen Jahren ... Und nun lag er hier, als wäre nicht eine Stunde seit ihrer letzten Begegnung verstrichen. Die Alterslosigkeit der Gesichter von Leuten aus dem Volk der Erstgeborenen war schwer zu ertragen. Noch nie hatte er dies so deutlich gespürt wie in diesem Augenblick.
»Das ist Arcad«, erklärte er.
Thaja sah ihn verwundert an. Ihr Blick wandte sich dem Fremden zu, dann wieder Margon.
»Was? Bist du sicher?«
Der alte Magier nickte.
»Er ist es.«
»Der Elf, von dem du deine Schwarze Harfe bekommen hast?«
»Ay«, antwortete Margon, »ich bin mir völlig sicher. Es ist zwar schon Jahrzehnte her, aber ich habe sein Gesicht nie vergessen.«
Mit einen matten Lächeln fügte er hinzu: »Und es ist ja nicht gerade so, dass sich sein Aussehen sehr verändert hätte.«
Thaja erwiderte sein Lächeln kurz, bevor ihre Miene wieder ernst wurde. Sie wusste, worauf ihr Mann anspielte. Das Volk der Elfen war einst in ganz Runland heimisch gewesen, bevor die Menschen in uralter Zeit auf der Flucht aus ihrer eigenen, sterbenden Welt nach Runland gekommen waren. Im
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