Runlandsaga - Sturm der Serephin
bedeuten?«
Der Magier zuckte die Achseln. Er war versucht, Thaja von seiner Vision in der Nacht zuvor zu erzählen – von der schwebenden Weißen Stadt, in der er die Statue eines Drachen gesehen hatte und von unbekannten Verfolgern gejagt worden war. Doch sofort verwarf er den Gedanken. Später mochte ein besserer Zeitpunkt sein, ihr davon zu berichten, aber im Augenblick gab es zu viel, das ihm im Kopf herumging. Er brauchte Ruhe, um nachzudenken, schließlich war er kein junger Mann mehr. Ein Blick auf den Elfen im Bett genügte, um sich daran zu erinnern. Als er ihn das letzte Mal gesehen hatte, war die Herbstsonne über Hallarn untergegangen. Er war noch kein Magier gewesen, sondern ein junger Harfner, der an Lord Gwendars Hof Lieder vorgetragen hatte. Soviel war seitdem geschehen. So entsetzlich viel.
»Ich weiß nicht, was Arcad gemeint hat«, sagte er. »Ich bin wirklich sehr erschöpft. Wenn es dir recht ist, komme ich jetzt gerne auf das Bad zurück.«
Thaja lächelte ihn an. Einen Lidschlag lang durchfuhr sein Herz ein heftiger Stich, ein Schmerz, so deutlich spürbar wie die Berührung kalten Stahls, und er erinnerte sich wieder einmal daran, wie sehr er diese Frau an seiner Seite liebte. Es wurde ihm bei weitem nicht mehr jeden Tag bewusst. Sie waren beide keine jungen Tiere mehr, die es im Feld trieben, wann immer sie die Hitze überkam. Dennoch packte ihn dieses Gefühl trotz all der Jahre ihres Zusammenseins immer wieder mit der Unvermitteltheit und Kraft jener berühmten siebten Welle einer Brandung, die sich weiter und tiefer in den Strand hineingräbt als ihre sechs vorherigen Geschwister.
»Ich glaube, wir können es wagen, ihn kurz alleine zu lassen«, sagte Thaja. »Aber er wird bald zu sich kommen, und dann sollte besser jemand bei ihm sein.«
Der Magier und die Heilerin verließen den Raum. Der Elf hatte die Augen geschlossen. Seine Pupillen bewegten sich schwach hinter den Lidern. Winzige Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Margon überlegte im Hinausgehen, ob Arcad seine Frau und ihn wahrgenommen haben mochte. Ob er ahnte, dass er nicht alleine war und sich jemand um ihn kümmerte? Oder irrte er durch die Dunkelheit seiner Gedanken, ohne ihre Stimmen zu hören und ihre Berührung zu fühlen?
5
Der Nachmittag brachte erneuten Regen, keinen schwachen, sondern heftige Schauer, die der Westwind, der vom offenen Meer aus über die Bucht fegte, beinahe waagrecht gegen die Häuser drückte. Andostaans Straßen blieben leer. Die warmen Frühlingstage, die das Vellardinfest selbst hier oben im Norden schon früh ankündigte, schienen weiter entfernt als zu Mittwinter.
Enris stand am Fenster von Larians Arbeitszimmer und sah auf den Garten hinaus. Das Glas war übersät von Regentropfen, die vom heftigen Wind dorthin geschleudert worden waren. Sie ließen den Ausblick verschwimmen, sodass die Stadt und die dahinterliegende Bucht nur schemenhaft zu erkennen waren, aber Enris achtete nicht darauf. Im Augenblick war ihm die Aussicht über das Kaufmannsviertel und die Hafengebäude in der Ferne ziemlich egal. Er hatte nur keine Lust, Larian ins Gesicht zu sehen, dessen verärgerte Stimme hinter ihm erklang.
»Wirklich, Enris, ich verstehe dich nicht! Wo sagst du, bist du gewesen?«
Der Mund des jungen Mannes wurde schmal.
»In den Höhlen«, antwortete er. Es strengte ihn an, überhaupt die Lippen zu öffnen, als wehrte sich sein gesamter Körper gegen diese Unterhaltung.
Larian atmete hörbar aus. Er war ein untersetzter, nicht besonders großer Mann, dessen dunkle Haare auszufallen begannen und die er daher oft seitlich auf dem Kopf glatt strich, wie um das Wenige, das noch vorhanden war, so zu verteilen, dass man ihm die beginnende Glatze nicht ansah. Auch jetzt fuhr er vorsichtig mit der Hand über seine Haare, ohne darauf zu achten, während er hinter seinem Schreibtisch saß, auf dem sich Preislisten und Handelsregister türmten wie Bücher in der Schriftstube eines Gelehrten.
»Und dann hast du dich den halben Vormittag mit wem herumgetrieben? Dem Magier aus der Festung?«
»Ay«, gab Enris gepresst zurück.
»Na, großartig!«, stieß Larian erregt hervor. Seine Stimme schwoll an. »Du unternimmst Spaziergänge, während hier wichtige Arbeit auf dich wartet!«
Er erhob sich vom Schreibtisch und ging auf Enris zu, der sich nicht umdrehte und weiter aus dem Fenster starrte, als würde er dort draußen im verlassenen Garten etwas unglaublich Aufregendes sehen.
»Es tut mir
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