Runlandsaga - Sturm der Serephin
Gegensatz zu ihnen alterten die Elfen nicht. Wenn sie nicht im Kampf erschlagen wurden oder eine schwere Krankheit sie dahinraffte, überdauerte ihr Leben Jahrhunderte und Jahrtausende. Es gab sogar Erzählungen von Erstgeborenen, die man die Elternlosen nannte, Wesen, die angeblich in der Dämmerung der Zeit noch von der Träumenden Cyrandith selbst erschaffen worden waren und deren Augen die gesamte Geschichte Runlands gesehen haben sollten.
Die Elfen lebten inzwischen sehr zurückgezogen in den Mondwäldern. Sie erlaubten nur wenigen, diese zu betreten. Allein der Gedanke, einem Wesen gegenüberzustehen, das ein Zeitgenosse der Helden aus den Alten Tagen gewesen war, barg für viele Menschen etwas Unheimliches. Margon fühlte sich an diese Scheu erinnert, als er in das Gesicht des Mannes blickte, der ihm vor etwa vierzig Jahren begegnet war und ihm Syr, eine seiner drei Schwarzen Harfen, geschenkt hatte.
Arcad schien nicht um einen Tag gealtert. An Margon selbst hingegen war die Zeit nicht spurlos vorübergegangen.
Thaja ergriff eines der Tücher vom Tisch neben dem Bett und tauchte es in die Wasserschale.
»Hast du mir nicht erzählt, er hätte Runland verlassen?«, fragte sie.
»So war es auch«, bestätigte Margon. »Er gab seine drei Harfen fort. Syr überließ er mir. Dann ging er, wie er es geplant hatte. Ich erinnere mich noch, dass er sagte, wohin er sich aufmachte, bräuchte er die Instrumente nicht. Aber er verriet niemandem, was er damit meinte.«
Thaja wrang das nasse Tuch aus. Ein Schwall Wasser tropfte zurück in die Schale.
»Wo mag er all die Jahre gesteckt haben?«, murmelte sie. »Und wie kam er plötzlich an die Küste von Felgar?«
Sie legte dem bewusstlosen Elfen das feuchte Tuch auf die Stirn. Er zuckte zusammen. Seine Lider bewegten sich schwach, ohne sich zu öffnen.
»Ob er all die Jahre in den Mondwäldern zugebracht hat?«
»Nein, die anderen Erstgeborenen hätten uns davon berichtet«, erwiderte Margon. »Er sagte damals, dass er Runland verlassen würde – was auch immer das bedeuten sollte.«
»Es gibt nur wenige Seefahrer, die sich für den Fischfang auf das offene Meer hinauswagen«, meinte Thaja. »Immer wieder gehen Gerüchte über andere Länder um, weit, weit im Osten und Süden von hier. Aber ich habe noch nie gehört, dass sie tatsächlich jemand gefunden hätte.«
»Vielleicht war er an einem ganz anderen Ort«, murmelte Margon.
Thaja blickte ihn überrascht an.
»Du meinst, er ging durch ein Tor zwischen den Welten, wie jenes, durch das unsere Ahnen einst nach Runland kamen?«
»Wenn ich daran denke, was wir beide mit den Elfen schon erlebt haben«, sagte Margon, »dann würde mich das auch nicht wundern.«
Thaja tauchte das Tuch erneut in die Wasserschale und wrang es aus. Sie legte es auf Arcads Stirn zurück.
»Er hat hohes Fieber«, sagte sie. »Hoffentlich bleibt er am Leben. Wenn sein Körper zu erschöpft ist, wird er es nicht bekämpfen können.«
Plötzlich schlug der Elf völlig unvermittelt die Augen auf. Sie starrten weit ins Leere. Thaja zuckte erschrocken zusammen. Arcads Mund öffnete sich. Ein lautes, heiseres Stöhnen hallte durch den Raum.
Margon war von der Bettkante aufgesprungen. Das Herz klopfte ihm heftig bis in den Hals.
» Iren mardhan! «, stieß der Elf mit tiefer Stimme hervor. Sein Gesicht war angstverzerrt. Obwohl er wild mit seinen dunklen, beinah völlig schwarzen Augen rollte, schien er weder Margon noch Thaja wahrzunehmen.
» Iren ner mardhan! Iren percon vel saar! «
Sein Oberkörper begann sich aufzurichten, aber Thaja drückte ihn sanft zurück auf sein Kissen.
»Scht!«, zischte sie. »Ganz ruhig! Ihr seid hier in Sicherheit.«
Arcad zeigte mit keiner Miene, dass er sie verstanden hatte. Nur seine Blicke schweiften nicht mehr ganz so ruckartig hin und her.
» Serephina tal piron mean ruhn! «,murmelte er. Dann flackerten seine Lider und schlossen sich letztlich. Margon beobachtete, wie der Brustkorb des Elfen sich langsam hob und senkte.
»Serephin«, sagte er leise vor sich hin.
Thaja blickte ihn fragend an.
»Was hat er gesagt?«
»Ich habe nicht alles verstanden«, erwiderte Margon langsam. Sein Gesicht wirkte plötzlich blass und besorgt.
»Was konntest du denn verstehen?«, wollte Thaja wissen.
»Serephin«, wiederholte Margon. »Feuerschlangen. Wahrscheinlich heißt das in der Sprache der Elfen soviel wie ›Drachen‹.« Er holte tief Luft. »Und Iren mardhan – ›Sie kommen‹.«
»Was soll das
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