Runlandsaga - Sturm der Serephin
wollte.
»Ich ... kann ich vielleicht später wiederkommen?«
Das war es also. Margon hatte es bereits vermutet. Da hatte jemand den Wunsch, mehr zu erfahren.
»Es gibt nicht viele Leute in Andostaan, mit denen man sich wirklich gut unterhalten kann«, redete Enris hastig weiter. »Die meisten sind eben, na ja, Fischer. Ihr wisst schon, die sprechen kaum über etwas anderes als das Wetter. Und die Händler haben nur Zahlen und Schiffsfrachten in den Köpfen.«
Margon ahnte, was folgten würde. Egal, wo er je gelebt hatte, bevor er nach Andostaan gekommen war, es war immer dasselbe. Jedes Mal tauchten irgendwann Leute auf, meistens junge Menschen, die seine Gesellschaft suchten. Kaum einer von ihnen hatte es bei seiner ersten Begegnung ausgesprochen, aber sie alle waren nur aus einem Grund gekommen: das Wissen um die Verborgenen Dinge. Ein Magier zog Menschen, die von ihm lernen wollten, an wie ein Bierkrug die Wespen. Nicht, dass es ihm niemals geschmeichelt hätte, im Gegenteil: In der ersten Zeit, nachdem er aufgehört hatte, als Harfner durch die Lande zu ziehen und stattdessen danach getrachtet hatte, sein Wissen über die Verborgenen Dinge zu vergrößern, hatte er es als schmeichelhaft empfunden, seine neu entdeckten Erkenntnisse mit anderen Menschen zu teilen. Doch er hatte schnell bemerkt, dass dieses Wissen ähnlich wie neuer Wein keinen tiefen Gehalt bekam, wenn es nicht durch Erfahrung reifen konnte. So war seine anfängliche Überschwänglichkeit und Mitteilungsfreude schnell der Vorsicht gewichen, zu viel preiszugeben. Auch sein Interesse am Finden von Schülern war merklich zurückgegangen.
Aber dennoch – er hatte schon seit Monaten kaum andere Gesellschaft genossen als die von Thaja. Es konnte nicht schaden, sich wieder einmal mit jemand anderem zu unterhalten.
»Warum eigentlich nicht?«, sagte er.
Enris‘ Gesicht erhellte sich freudig.
»Besuch mich ruhig! Dann werde ich dich auch bestimmt anders begrüßen als vorhin in der Höhle.«
Beide lächelten einander an. Schließlich hob Enris eine Hand zum Gruß und drehte sich um. Margon stand noch länger am Eingang zur Festung und beobachtete den jungen Mann, wie er die Zugbrücke überquerte und den Weg zur Bucht hinab einschlug.
Seltsam. Eigentlich war es klar: Dieser Enris schien von ihm, dem Magier, eingenommen zu sein. Vielleicht gehörte der junge Mann zu jenen, die das Wissen um die Verborgenen Dinge erlernen wollten, selbst wenn es ihm noch gar nicht bewusst sein mochte. Aber warum hatte Margon dann immer noch dieses eigenartige Gefühl, dass dies nicht alles war? Es gab da etwas zwischen Enris und ihm, das keinen Namen und kein Gesicht besaß, dennoch war es genauso vorhanden wie die kühle Luft, die er gerade atmete.
Schließlich drehte der alte Mann sich mit einem Achselzucken um und trat durch den Torbogen ins Innere der Meeresburg.
Gleichzeitig riss der trübe Himmel auf und gestattete der Frühlingssonne, den Tag für kurze Zeit zu wärmen.
4
Einen Bedienstetentrakt gab es in jeder Festung. In der Regel war er von dem Flügel, in dem die Wachleute untergebracht waren, getrennt. Häufig teilten sich die Bediensteten ihren Wohnraum mit Handwerkern wie den Hufschmieden, den Töpfern, Küfern, Seilmachern und vielen mehr.
Doch Carn Taar war keine Festung wie andere. Kein Grundbesitzer, Clansherr oder Lord nannte sie sein Eigen und hatte an diesem Ort seinen ständigen Wohnsitz. Die Ratsoberhäupter, die das Amt des Burgherren innehatten, lebten für gewöhnlich weiterhin in der Stadt. Die Wachmänner aus Andostaan übernachteten zwar in Carn Taar, aber da die Arbeit als Wache keinen eigentlichen Beruf darstellte, sondern eher den Aufgaben einer Bürgerwehr entsprach, wurde in der Regel jeder von ihnen nach einer Woche abgelöst, sodass Margon und Thaja augenblicklich die Einzigen waren, die tatsächlich durchgehend in der alten Festung wohnten.
Die Räume der Bediensteten befanden sich über den Stallungen und der Schmiede. Meistens standen sie leer, da sich in Carn Taar nur dann Handwerker aufhielten, wenn das raue Wetter des Nordens der Festung zugesetzt hatte und Teile ihrer Mauern oder Dächer in Stand gesetzt werden mussten.
Margon ging über den Innenhof zu einem mehrstöckigen Steingebäude rechts von Barams Anbau. Von den Wachmännern war weit und breit niemand zu sehen. Er öffnete eine Tür und stieg eine Treppe in den ersten Stock hinauf. Zu beiden Seiten führten weitere Türen in leere Wohn- und Schlafräume.
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