Runlandsaga - Sturm der Serephin
wäre, wenn du nicht das Wissen um die Verborgenen Dinge gesucht hättest«, sagte Thaja ruhig.
»Ay, so ist es«, erwiderte Margon. Er drückte ihre Hand und sah sie an. Die Flammen im Kamin tauchten seine Gesichtszüge in einen rötlichen Schein. In ihrem Schatten wirkten seine Falten tiefer, als sie eigentlich waren. Für einen Moment sah der Mann, den sie liebte, sehr alt aus, älter als die sechzig Sommer und Winter, die er bereits gesehen hatte, ein Baum am Ende des Jahres, an der Schwelle zur Nacht.
»Ich weiß, dass es unsinnig ist, sich diese Fragen zu stellen«, sagte Margon. »Ich habe mich entschieden. Es ist nicht mehr rückgängig zu machen. Was ich getan habe, das habe ich getan, und ich wollte es auch nicht anders. Aber einen der Unsterblichen heute zu sehen, nach all den Jahren ...«
Er holte tief Luft.
»Man kann ihn als Sterblicher nicht betrachten, ohne sich nicht zumindest kurz mit ihm zu vergleichen, egal wie unsinnig, nutzlos oder kindisch das sein mag. Man sieht ihn an und stellt sich Fragen. Wie es wäre, wenn man so wie er alle Zeit der Welt zur Verfügung hätte. Wenn man jederzeit alte Wege neu einschlagen könnte, weil man nie zu alt wäre, eine verpasste Gelegenheit ein weiteres Mal wahrzunehmen, den fallen gelassenen Faden der Herrin des Schicksals erneut aufzuheben und ihn zu verfolgen, zu welchem Ziel auch immer.«
Eine Weile herrschte Schweigen im Raum. Margon, der einen Großteil der vergangenen Nacht in der Kälte der Höhlen zugebracht und in den letzten Stunden an einem offenen Fenster gesessen hatte, genoss die Wärme des Kaminfeuers auf dem Gesicht.
»Sicher, ein Elf mag wie der Herr der Zeit wirken«, meinte Thaja schließlich. »Trotzdem lebt auch er in einer Welt, die sich weiterdreht. In Gedanken mag jemand wie er die Möglichkeit haben, an jedem Punkt seines Lebens einen früheren Faden, eine alte Unternehmung erneut aufzunehmen. Aber in Wahrheit gibt es so etwas wie verpasste Gelegenheiten, die nicht neu begonnen werden können, egal wie lange man lebt. Denk nur an die Welt der Elfen – wie sie war, bevor die Menschen nach Runland kamen. Ganz gleich, wie alt die Erstgeborenen werden mögen, sie können nie wieder ein Leben führen, wie sie es vor der Ankunft der Menschen taten. Diese Gelegenheit ist für immer vorbei.«
Margon lächelte schwach.
»Du hast natürlich Recht«, räumte er schließlich ein. »Auch wenn ich alle Zeit der Welt zur Verfügung hätte, so bin und bleibe ich doch ein Magier. Das Wissen um die Verborgenen Dinge war meine Bestimmung, und das Harfenspiel brachte mich auf den Weg. Letztendlich hätte ich mit meinem Leben nie etwas anderes angefangen, als die Geheimnisse der sichtbaren und unsichtbaren Welten zu ergründen, um von ihnen zu lernen.«
Thaja hob den Kopf, als hätte sie etwas gehört. Margon, der eben weitersprechen wollte, hielt inne.
»Ich spüre das Prickeln«, sagte sie. »Es ist Arcad. Er ist aufgewacht.«
Margon hatte sich im Laufe der Jahre daran gewöhnt, dass Thaja ein geistiges Band zu denen knüpfte, die sie heilte. Sie spürte auch in einiger Entfernung, wie es jenen ging, denen sie gerade ihre Kräfte hatte zuteil werden lassen. Es war ursprünglich nicht so sehr eine Kunst gewesen, die sie absichtlich entwickelt hatte, sondern mehr etwas, das schon immer zu ihr gehört hatte und das sich unvermeidlich einstellte, wenn sie sich um einen Kranken kümmerte. Dieses Gespür verblasste, wenn diejenigen, die sie heilte, wieder gesund wurden und ihre Nähe verließen. Wenn Thaja diese Veränderungen im Befinden der Kranken spürte, dann fühlte sie gleichzeitig einen deutlichen Druck in der Mitte der Stirn, fast so, als würde ihre Haut dort jucken, deshalb nannte sie dieses Gefühl das Prickeln.
»Willst du nach ihm sehen?«, fragte Margon.
Thaja schüttelte den Kopf.
»Ich denke, das wird vorerst nicht nötig sein. Ich habe alles getan, was in meiner Macht steht. Nun liegt es an seinem Willen und seiner Kraft, ob er sich erholen wird. Es wäre aber bestimmt gut für ihn, wenn jetzt jemand bei ihm wäre, den er kennt.«
Margon erhob sich aus seinem Sessel.
»Dann werde ich ihn aufsuchen.«
»Erschlag ihn aber nicht mit zu vielen Fragen«, mahnte Thaja. »Ich fühle, dass er noch sehr schwach ist. Wahrscheinlich wird er bald wieder das Bewusstsein verlieren.«
»Keine Sorge«, erwiderte Margon beruhigend. »Ich werde ihn schon nicht überanstrengen. Ich will nur, dass er sich in Sicherheit weiß. Als er vorhin im
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