Runlandsaga - Wolfzeit
hatten.
»Was für ein verdammter Ameisenhaufen!«, donnerte er und funkelte Enris, Suvare und Teras an, als mache er sie persönlich für den Menschenauflauf vor dem Tor verantwortlich. Seine kurzen, schwarzen Haare klebten ihm auf der verschwitzten Stirn, und die beiden Spitzen seines geflochtenen Bartes standen von seinem Kinn ab wie die gesträubten Borsten eines wütenden Keilers. Enris dachte, dass er sich genauso immer einen Zwerg vorgestellt hatte, nur dass Aros größer war, als man dies von den Leuten aus den Bergen berichtete.
»Ich wünschte, der Flüchtlingszug wäre in der Nacht angekommen. Jetzt haben meine Männer ihre liebe Mühe, den Haufen auf das Gelände des Ratsturms zu schaffen.«
»Was wird mit den Leuten geschehen?«, wollte Enris wissen.
Der Hauptmann schnaubte. »Der Rat meinte, dass sie erst einmal in den Stallungen und den freien Räumen der Wache unterkommen können, jedenfalls diejenigen, die hier keine Verwandten haben. Natürlich ist das keine Lösung auf Dauer.«
»Aber zumindest ein Anfang«, ließ sich Suvare vernehmen.
»Außerdem will Königin Tarigh euch sehen«, fuhr Aros fort. »Sie hat von unserem gestrigen Gespräch erfahren und weiß inzwischen, dass ihr sie sprechen wollt. Der Rat wurde einberufen, um zu entscheiden, wie wir der Bedrohung für den Norden am besten begegnen können. Ich soll euch in den Ratsturm geleiten.«
»Was ist mit den Leuten aus dem Stadtrat von Andostaan?«, fragte Enris. »Sollten sie nicht auch bei diesem Treffen dabei sein?«
»Sie werden ebenfalls dazustoßen«, sagte Aros. »Es sind schon Boten nach ihnen geschickt worden.«
Mit laut auf dem Pflaster polternden Schritten kam Themet angerannt. Seine Augen strahlten. »Hast du das gesehen?«, schrie er Enris an. »Mirka hat seine Mutter wiedergefunden! Und Velliarn geht´s ebenfalls gut. Er ist mit seinen Eltern hier.«
»Das ist großartig«, erwiderte Enris. »Willst du erst einmal bei deinen Freunden bleiben? Der Wachmann hier wird uns zu einer Ratsversammlung begleiten.«
Es war Themet anzusehen, dass es ihm schwerfiel, sich zu entscheiden. Einerseits wollte er mit Mirka und Velliarn zusammen sein, andererseits aber lockte auch ein offensichtlich spannendes Treffen der Erwachsenen, bei dem er gerne Mäuschen gespielt hätte. Letztendlich aber siegte sein Wunsch, mit seinen beiden Freunden das Gelände um den Ratsturm unsicher zu machen. So schnell, wie er angelaufen war, verschwand er wieder im Gewühl.
Aros bahnte inzwischen Enris, Suvare und Teras einen Weg durch die Menschenmenge. Unsanft schob er Flüchtlinge wie auch Schaulustige zur Seite. Die meisten waren allerdings so sehr damit beschäftigt, aufeinander einzureden, dass sie es kaum mitbekamen. Wenn doch einmal jemand verärgert herumfuhr, dann genügte schon ein Blick auf den stämmigen Wachmann, um sich schnell eines Besseren zu besinnen.
Sie durchquerten den Eingang zum Hof vor dem Ratsturm. Zu beiden Seiten sah Enris kleinere Gebäude, Werkstätten und Schuppen. Am anderen Ende des Platzes befand sich das langgezogene einstöckige Holzhaus, aus dessen Mitte der Ratsturm empor ragte. Es war direkt an die rückwärtige Wand der Stadtmauer gebaut worden, von der die Anhöhe wie ein Ringwall umschlossen wurde. Der Turm selbst verengte sich nach oben hin nicht, sondern blieb wie ein abgesägter Holzklotz genauso breit wie an seiner Basis. Sein oberes Ende war von einem Kranz aus Erkern umgeben, die ausladende Fenster aufwiesen.
Enris legte im Gehen seinen Kopf in den Nacken und sah zur Spitze des Turms hinauf. Was für einen Blick man wohl aus einem der vielen Fenster dort oben haben mochte? Bestimmt konnte man im obersten Stockwerk meilenweit ins Land schauen.
»He, wartet gefälligst auf uns!«, riss ihn plötzlich eine vertraute, aber mit unangenehmen Erinnerungen verbundene Stimme aus seinen Gedanken. Er sah sich um. Hinter einem jungen Mann in der Rüstung der Stadtwache eilte Larcaan heran. Thurnas hielt sich wie üblich an seiner Seite.
»Und der Tag hatte so schön angefangen«, stöhnte Teras mit abgewandtem Gesicht. Suvare stieß ihm grinsend in die Rippen. Enris ging es nicht viel anders als dem alten Bootsmann. Insgeheim hatte er gehofft, mit der Ankunft in Menelon die beiden Nervensägen los zu sein. Aber wie es aussah, hatte er sich wohl zu früh gefreut.
Der Kaufmann war von seinen Verwandten, bei denen er eine Unterkunft gefunden hatte, offenbar neu eingekleidet worden. Sein Hemd, das ebenso wie seine
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