Runlandsaga - Wolfzeit
Ich wollte mit meiner Gruppe die letzten Vorbereitungen für unseren Übergang nach Runland treffen. Da ließ Belgadis mich rufen. Zuerst dachte ich, es ginge um Anweisungen an dich, Manari, die ich dir überbringen sollte. Wir trafen uns im Tempel der Luft.« Er wandte sich an Alcarasán. »Bist du schon einmal in Ascerridhon gewesen?«
»Oh ja. Aber das ist schon sehr lange her.«
»Dann kennst du bestimmt den riesigen Turm in der Mitte des Lufttempels.«
»Ich erinnere mich gut an ihn. Es gibt keinen Ort in Ascerridhon, von dem aus er nicht zu sehen wäre. Der Kreis der Stürme weiß, wie man Aufmerksamkeit erregt.«
Cesparian ging über Alcarasáns spöttische Bemerkung hinweg, als hätte er sie nicht gehört. »Der Ort, an dem Belgadis seine Besprechungen durchführt, ist die kreisförmige Plattform auf der Spitze des Turms. Obwohl sie keine Mauern und kein Dach besitzt, ist sie magisch so von neugierigen Augen und Ohren abgeschottet, als befände sie sich tief im Inneren einer Bergfestung. Selbst aus der Luft kann sich ihr niemand nähern, ohne von den Wächtern schon von weitem bemerkt zu werden. Der Blick, den man von dort aus auf Ascerridhon hat, ist wunderschön, aber noch beeindruckender ist es, im Dunkeln auf der Plattform zu stehen, wenn die Sterne aufgegangen sind. Sie scheinen dann so dicht über dem Häusermeer zu hängen, als ob man direkt unter der Kuppel entlangfliegen würde.
Als wir oben ankamen, waren die Lamazhabin der vier Städte bereits dort versammelt. Ich hatte sie noch nie zuvor gemeinsam an einem Ort gesehen. Einer von ihnen richtete im Geist das Wort an mich und begrüßte mich in ihrer Mitte. Ihr könnt mir glauben, dass ich vor Aufregung kaum eine Antwort herausbrachte.«
»Beim Drachen des Feuers!«, entfuhr es Alcarasán. »Ich wäre bestimmt genauso aufgeregt gewesen. Solche Treffen hat es in all den Äonen seit der Gründung der vier Städte nur sehr wenige gegeben. Ich wünschte, ich hätte Terovirin in Ascerridhon sehen können. Ich habe es noch nie erlebt, dass er Gotharnar verlassen hat.«
»Er hatte einen guten Grund dafür«, sagte Cesparian mit einem müden Lächeln. »Die Lamazhabin sind unsere Anführer, aber wenn die Älteren Götter sie rufen, haben sie dem Folge zu leisten. Und diesmal riefen sie nicht nur. Als ich mich umsah, erkannte ich unter ihnen ein Wesen, das ich noch nie zuvor gesehen hatte. Es sah aus wie ein Temari, nur beinahe zweimal so groß. Es überragte sogar Belgadis, und das will etwas heißen, wie du wüsstest, wenn du unseren Herrn je gesehen hättest. Die Gestalt strahlte ungeheure Macht aus. Das Licht einer Sonne schien ihm aus jeder Pore seiner Haut zu dringen.«
»Der Jäger«, murmelte Manari leise, als ob Cesparians Vergleich mit der Sonne jeden Zweifel in ihr beseitigt hätte. Ehrfurcht lag in ihrer verhaltenen Stimme.
»Er war es«, bestätigte der Serephin. »Er sah genauso aus, wie er auch auf den Statuen immer dargestellt ist. Nur seine berühmten Waffen, der Bogen und der Speer, fehlten. Als er mich direkt ansah, spürte ich seinen Blick auf meinem Gesicht und musste mich wie in einem starken Windstoß etwas nach vorne lehnen, um nicht mein Gleichgewicht zu verlieren und hintenüber zu kippen.
Das Nächste, was ich fühlte, waren seine Augen, so riesig wie alles andere an ihm, forschend in meinem Innersten. Es ging so schnell, dass ich kaum Zeit fand, zu erschrecken. Er las in mir wie in einem Buch. Als er seinen Geist aus meinem zurückzog, war ich so überrumpelt, dass ich tatsächlich in die Knie ging.
Er sagte zu mir: ›Du hast ein treues, deinem Lamazhabin ergebenes Leben geführt. Deshalb sollst du auch mit einer Aufgabe belohnt werden, die deiner würdig ist.‹
Ich wäre nicht in der Lage gewesen, ihn zu fragen, was er damit meinte. Niemand redet den Jäger von sich aus an. Er schien sich dessen bewusst zu sein, den er sprach sofort weiter, indem er sich reihum an uns alle wandte.
›Bis auf die Ältesten eurer Häuser hat mich noch keiner von euch jemals von Angesicht zu Angesicht erblickt. Das hat seinen Grund. Wir Herren der Ordnung, die wir von euch auch die Älteren Götter genannt werden, schätzen eure Unabhängigkeit. Im Gegensatz zu den Lügen, die von den Verrätern eures Volkes so gerne verbreitet werden, legen wir keinen Wert darauf, jeden eurer Schritte zu überwachen. Ihr seid schließlich unsere Kinder, nicht unsere Sklaven.
Aber die jüngsten Ereignisse haben es notwendig gemacht, dass ich
Weitere Kostenlose Bücher