Runlandsaga - Wolfzeit
überblicken. Wann immer wir zusammenfinden, um uns zu beraten, haben wir das Land und die Menschen vor Augen, denen wir dienen. Deshalb die vielen Fenster. Deshalb dieser hochgelegene Versammlungsort.«
Sie drehte sich um und beobachtete die hinter Enris in Gespräche vertieften Ratsleute, von denen einige ab und an zu ihnen herübersahen, wenn sich auch niemand zu ihnen gesellte. »Aber er hat auch einen Nachteil. Er befindet sich in so großer Höhe, dass er einen von den Sorgen der einfachen Leute entfremden kann. Manche der Ältesten bewegen sich so gut wie nie unter dem Volk. Dann kommen sie hier herauf, sie schauen von den Fenstern aus über das Land, und was sie sehen, ist eine Karte, in die man kleine Fähnchen stecken kann, und auf denen sie Holzklötzchen als Truppen herumschieben wollen. Aber die Welt dort draußen ist keine Karte. Es ist ein lebendiger Ort voller lebendiger Wesen, die sich auf uns verlassen, auch wenn sie nicht oft an uns denken.« Königin Tarigh wandte sich ihm wieder zu. »Ich selbst versuche auf meine Weise, das nicht zu vergessen. Manchmal mische ich mich unerkannt unter die Einwohner dieser Stadt. Jeder, der Verantwortung für andere Menschen übernimmt, muss auf seine Art damit umgehen. Du wirst es ebenfalls tun müssen, denn deine Verantwortung ist eine andere als die von Aros oder Suvare, und sie wird beginnen, sobald ihr auf den Arcandinseln angekommen seid. Wer andere führt, ist immer auch ein Hochstapler. Er gibt den Menschen etwas, das sie eint, und lässt sie sehen, was sie gerne in ihm sehen möchten. Wir werden herausfinden, ob deine Schwindelei dazu in der Lage ist.«
Mit diesen Worten entließ sie den jungen Mann aus dem Versammlungsraum.
Für den Rest des Tages gesellte Enris sich zu Themet und Mirka. Er fragte die Flüchtlinge aus Andostaan, wie es ihnen ergangen war, und erkundigte sich auch nach Larian. Doch niemand hatte ihn gesehen. Offenbar war es dem Kaufmann nicht gelungen, aus der brennenden Stadt zu fliehen. Obwohl Enris ihn zuletzt verachtet hatte, schmerzte ihn das Wissen, dass der Freund seines Vaters nicht überlebt hatte. Es fühlte sich beinahe so an, als ob ein entfernter Verwandter den Tod gefunden hätte. Zu seiner Trauer gesellte sich außerdem das nagende Gefühl, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb und sie so schnell wie möglich wieder aufbrechen sollten. Die Dunkelelfen zu finden war vielleicht nur eine schwache Hoffnung, doch er wollte sie um keinen Preis ungenützt verstreichen lassen. Nun, da sie tatsächlich die Unterstützung des Rates erhalten hatten, durften sie in Menelon nicht mehr länger verweilen.
Die Herren von Eilond
In der Erinnerung der Endarin an die Alten Tage von Runland, bevor sich die Menschen mehr und mehr auf der Welt ausbreiteten, ist das Gedenken an die Spaltung der Erstgeborenen und das Vergießen von brüderlichem Blut mit einem Schmerz verbunden, der vielleicht noch bitterer ist als der über ihre Verbannung aus der Welt der Serephin. Denn ihre Vertreibung aus Vovinadhar war den Göttern der Ordnung zuzuschreiben, doch für den Bruderkrieg in Runland trugen alleine sie selbst die Verantwortung, und mit diesem Wissen müssen alle jene Endarin leben, die sich noch daran erinnern.
Als Oláran die Menschen nach Meridon führte, waren jene aus seinem Volk, die nicht mit ihm ins Regenbogental aufgebrochen waren, völlig überrascht, zu sehen, dass er das Volk mitgebracht hatte, das einst von ihnen aus dem Blut von Carnaron erschaffen worden war. Sie priesen Oláran dafür, dass sich seine Prophezeiung erfüllt hatte. Nun würden die Temari endlich ihrer Bestimmung zugeführt werden. Doch die Endarin waren sich uneins darüber, wie dies geschehen sollte. Ein Teil von ihnen sagte: »Wieso sollten wir diese da, die nichts weiter sind als unsere eigene Schöpfung, in Meridon Tür an Tür mit uns wohnen lassen? Schon als wir sie vor Äonen in Galamar ansiedelten, ließen wir sie nicht in unseren Weißen Städten wohnen. Nur ein einziges Mal duldeten wir Menschen innerhalb unserer Mauern – in Mehanúr. Doch wir taten es nur, weil wir sie vor den Maugrim beschützen mussten. Sie sind unser Werkzeug, um die Götter des Chaos zurückzubringen, nicht mehr.«
Besonders Olárans älte rer Bruder Rian sprach sich dagegen aus, dass der Ältestenrat es den Menschen erlaubt hatte, in Meridon zu wohnen. »Wir haben schon genug durch dieses Volk leiden müssen!«, sagte er harsch.
»Wie meinst du das?«, fragte Oláran.
»Wir
Weitere Kostenlose Bücher