Runlandsaga - Wolfzeit
unserer Sicherheit mit uns kommen werden.«
Neria schnitt ein Grimasse. »Ich weiß nicht, ob ich das beruhigend finden soll, oder nicht«, brummte sie. »Sicherheit hin oder her, es sind und bleiben Männer mit Waffen. Wenn sie meine roten Augen sehen, dann sind sie vielleicht versucht, sich damit rühmen zu können, einen wilden Wolfsmenschen erlegt zu haben. Und ich fing gerade an, mich an dieses Schiff zu gewöhnen.« Sie deutete mit dem Kinn zu Daniro. »Sogar an ihn und seinen Blick, wenn er an mir vorbeigeht – wie ein geprügelter Hund, der wieder gestreichelt werden will.«
Ihre Stimme klang bitter. Enris fragte sich, womit er diesen plötzlichen Vertrauensvorschuss verdient hatte. So offen hatte sie noch nie zuvor mit jemandem von ihnen darüber gesprochen, wie wenig sicher sie sich in der Gesellschaft von Menschen fühlte.
»Wir werden ihnen gleich von Anfang an reinen Wein einschenken«, sagte er beruhigend. »Sie sollen wissen, dass du zu uns gehörst, damit du dich nicht vor ihnen verstecken musst.«
Neria sah ihn zweifelnd an. »Dass ich zu euch gehöre, das glauben doch nicht einmal Suvares Leute. Der Mann dort drüben – sie deutete zu Calach am Heck, der gerade einen Eimer mit Küchenabfällen über Bord kippte – hat jedes Mal die Hand am Griff seines Messers, wenn er in meiner Nähe steht. Er überlegt dasselbe wie alle anderen auch: Wann wird sie das nächste Mal zum Ungeheuer?«
Unwillkürlich stellte sich Enris in Gedanken dieselbe Frage. Wie lange war es hin bis zum nächsten Vollmond?
Neria musste seine Nachdenklichkeit sofort bemerkt haben, denn ihre Miene verhärtete sich. »Noch knapp zwei Wochen«, sagte sie. »Dann ist es soweit. Entweder sind wir dann am Ziel unserer Reise, und ich kann an Land, wenn es passiert, oder ich verwandle mich hier. Wenn es auf dem Schiff geschieht ...«
Sie sprach nicht weiter. Das musste sie auch nicht. Enris konnte sich lebhaft vorstellen, wie gefährlich ein rasendes Tier auf diesem engen Raum für alle anderen sein würde.
Er war nicht der Einzige, der sich über die Voronfrau an Bord Gedanken machte. Als die Dämmerung über den Hafen hereinbrach und das helle Frühlingslicht verblasste, gesellte sich Suvare zu ihm.
»Neria wird bald Wolfsgestalt annehmen, nicht wahr?« ergriff sie ohne Umschweife das Wort. »Es ist meine Aufgabe, zu wissen, was auf meiner Tjalk vorgeht«, fuhr sie achselzuckend fort, als Enris sie überrascht ansah, ohne etwas zu erwidern. »Meine Leute reden darüber. Sie denken, dass sie sich verwandeln wird, wenn der nächste Vollmond am Himmel steht. Noch haben wir Neumond, aber die Zeit lässt sich nicht aufhalten. Zum ersten Mal frage ich mich, ob es wirklich klug war, sie mitzunehmen.«
»Sie hat uns gefunden, ohne uns jemals zuvor gesehen zu haben. Erinnere dich daran, was Arcad gesagt hat: Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft. Ein Dehajar. Es gab einen Grund, weshalb wir alle uns auf deinem Schiff eingefunden haben.«
»Einen Grund!«, knurrte Suvare verächtlich. »Ay, für den Endar hatte immer alles einen Grund, als ob jeder von uns wie eine Puppe an unsichtbaren Fäden hängen würde. Sein Glaube an das Schicksal hat ihm am Ende auch nicht geholfen, als er seinen letzten Atemzug aushauchte.«
»Sollen wir Neria etwa hier in Menelon zurücklassen?«, fragte Enris scharf.
Suvare schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht! Aber ich bin nicht nur für sie verantwortlich, solange sie auf diesen Planken herumläuft, sondern für die Sicherheit aller Leute, die unter meinen Segeln fahren.« Sie senkte ihre Stimme. »Sie scheint dir zu vertrauen, jedenfalls hast du bisher am meisten von uns allen mit ihr gesprochen. Ich brauche deine Hilfe. Wenn irgendwann eine Gefahr von ihr ausgeht, dann muss ich es wissen, und zwar rechtzeitig. Vielleicht mache ich mir nur unbegründete Sorgen, und wir werden längst wieder Land erreicht haben, wenn sie zu einem Wolf wird. Dann schaffen wir sie rechtzeitig von Bord und sind auf der Tjalk in Sicherheit. Aber die Arcandinseln vor dem nächsten Vollmond zu erreichen, wird nicht leicht werden.«
Enris mochte nicht daran denken, wie Suvare vorhatte, ihre Mannschaft vor Neria zu schützen, wenn diese sich auf ihrem Schiff verwandelte. Farrans gefesselter Körper drängte sich ihm auf. Er musste zugeben, dass Nerias Misstrauen bezüglich der Menschen an Bord keineswegs aus der Luft gegriffen war.
Im Lauf des Abends traf Aros an Bord ein. Er wurde von zwei Männern begleitet, deren
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