Runlandsaga - Wolfzeit
hatten die Menschen viel gelehrt, bevor wir sie sich selbst überlassen mussten und hierher flohen. Wir hatten ihnen gezeigt, wie man die Geistwelten bereist und das Wissen um die Verborgenen Dinge in sich aufnimmt. Wir lehrten sie die Geheimnisse der Elemente. Wir pflanzten in ihnen den Keim der Neugier und die Lust daran, sich zu entwickeln und zu mehr heranzuwachsen, als sie von Geburt an sind. Doch was haben sie mit dem angefangen, was wir sie lehrten? Aus dem Weitergeben des Wissens durch Blutlinie und Verwandtschaft machten sie ein Königtum, in dem machtgierige Gewaltherrscher ihr Streben nach noch mehr Besitz auslebten. Mit gewaltigen Maschinen haben sie sich gegenseitig bekriegt und die Welt, in der wir sie ansiedelten, unbewohnbar gemacht, ja mehr noch: in ihrer Einfalt haben sie sich selbst beinahe gegenseitig ausgerottet und damit den Plan, die Götter des Chaos aus ihrer Verbannung zurückzuholen, um ein Haar zunichtegemacht. Äonen von Arbeit waren umsonst!«
»Waren sie wirklich umsonst?«, fragte Oláran zurück. »Wer weiß, ob dies nicht alles zum Traum der Hohen Cyrandith gehörte? Vielleicht mussten die Temari erst schwere Fehler begehen, um aus ihnen lernen zu können.«
»Vielleicht waren wir auch zu leichtfertig«, erwiderte Rian. »Wenn wir sie mehr als das behandelt hätten, was sie tatsächlich sind, nämlich unsere Schüler und unser Werkzeug, wären wir womöglich schon längst nicht mehr hier in der Verbannung. Die Menschen sind Diener unseres Plans, nicht mehr und nicht weniger. Und ich will keine Diener im selben Haus wohnen haben wie ich selbst. Wer weiß, ob sie nicht genau die gleichen Fehler wie in der Vergangenheit begehen, wenn man ihnen zu viele Freiheiten lässt!«
Rian ließ sich von seinem Bruder nicht umstimmen. Für ihn war die Anwesenheit der Menschen in Meridon eine Beleidigung. Er scharte weitere Endarin um sich, die genauso dachten wie er. Gemeinsam hofften sie, den Ältestenrat dazu zu bringen, ihnen recht zu geben und Gesetze zu erlassen, die den Endarin Macht über die Menschen geben und sie von Meridon fernhalten würden. Doch als ihnen klar wurde, dass der Ältestenrat hinter Oláran stand, erfüllte sie Verbitterung.
»Mein Bruder führt uns schon zu lange in die Irre«, sagte Rian zu seinen Anhängern. »Wie lange wollen wir uns noch vor unseren Verwandten in Vovinadhar verstecken? Wie lange wollen wir noch in diesen menschenähnlichen Körpern hausen? Wenn es nach Oláran ginge, dann würden wir noch eine Ewigkeit darauf warten, bis wir die Temari endlich dazu benutzen können, die Herren des Chaos zurückzuholen. Ihm scheint es ja kaum eilig damit zu sein, ihre Entwicklung voranzutreiben. Er spricht von Freiheit der Entscheidung und davon, dass sie sich selbst zu dem entwickeln müssen, was ihre Bestimmung ist, aber was er in Wirklichkeit meint, ist: Wir sollen sie sich selbst überlassen, wie wir es schon einmal getan haben. Dabei wissen wir doch, welche Folgen das hatte. Ein zweites Mal werden wir diesen Fehler nicht begehen! Wir werden den Temari befehlen. Wir werden ihnen wahrhaftige Lehrmeister sein, und damit den Plan endlich zur Erfüllung bringen!«
Rians Wunsch, wieder nach Vovinadhar zurückzukehren und jene zur Verantwortung zu ziehen, die sie unter dem Einfluss der Herren der Ordnung vertrieben hatten, war so groß, dass er in seiner Verzweiflung zum Äußersten ging: Er plante, den Ältestenrat von Meridon zu stürzen. Zusammen mit seinen Anhängern wartete er das Fest der Sommersonnwende ab, an dem sich die Ankunft der Menschen in Runland zum dritten Mal jährte. An diesem Tag hatte der Ältestenrat ein großes Fest geplant. Für die Temari war es ein Gedenken an ihr Erscheinen im Regenbogental, für die Endarin, die es besser wussten, ein Gedenken an die Wiedervereinigung der beiden Völker. Die Festlichkeit stellte sicher, dass sich alle Ältesten in der Halle des Rates befinden würden, die in dem Teil Meridons stand, der über dem Syrneril erbaut worden war. Als es Abend wurde und die Sonne hinter den Mondwäldern untergegangen war, trafen kurz vor Beginn der Feierlichkeiten Rian und seine Gefolgsleute in der Halle des Rates ein und nahmen die Ältesten gefangen. Sie erklärten den Rat und sein Oberhaupt Oláran für abgesetzt und verkündeten Rian als neues Oberhaupt der Endarin.
Doch Rian hatte nicht mit Olárans Widerstand gerechnet. Obwohl die Abtrünnigen damit drohten, die Halle des Rates in Brand zu setzen und die Ältesten zu
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