Runlandsaga - Wolfzeit
aufzurichten, fiel aber sofort wieder zurück. Sie stöhnte leise und presste sich eine Hand auf ihre rechte Seite. Blut strömte zwischen ihren Fingern hervor.
Sofort begriff Alcarasán, dass er die eigentliche Gestalt des Ungeheuers vor sich sah, das die Piraten auf der Plattform angegriffen hatte. Er konnte noch immer den Raubtiergeruch ihres Schweißes wahrnehmen. Sie war nicht in der Lage gewesen, ihr verändertes Aussehen beim Übergang aufrechtzuerhalten, so, wie die Serephin es konnten. Aber dennoch – eine Temari mit der Fähigkeit, die Gestalt zu wechseln! Unglaublich!
»Bleib wo du bist«, herrschte Jahanila ihn an. Sie stellte sich beschützend vor den jungen Mann am Boden. »Komm ihm nicht zu nahe!«
»Wenn ich dich aus dem Weg räumen muss, um ihn zu töten, dann mit Vergnügen«, gab Alcarasán zurück. Die Wut schmeckte bitter in seinem Hals. Dass es so weit hatte kommen müssen – verraten von seiner Begleiterin, die Terovirin ihm für dieses Unternehmen an seine Seite gegeben hatte! Seine Fäuste ballten sich, bereit, Flammenbälle in ihnen wachsen zu lassen und sie gegen Jahanila zu schleudern. Entschlossen schritt er auf sie zu.
»Zurück!«, herrschte eine tiefe Stimme ihn an. Sie ertönte von jenseits der kreisrunden Wand aus gleißendem Licht, die sie alle umgab. »Wir werden in unserem Zuhause keine Gewalt dulden!«
Als Alcarasán weiter auf Jahanila zuging, durchschnitt ein schnurgerader Blitzstrahl aus leuchtendem Grün die Lichtmauer und traf ihn direkt in die Brust. Dem Serephin erschien es, als ob er einen wuchtigen Schlag erhalten hätte, der ihm den Atem raubte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht taumelte er zurück und rang nach Atem.
»Die einzige Gewalt, die an diesem Ort ausgeübt wird, ist unsere eigene«, ließ sich die volltönende Stimme vernehmen.
»Bitte, helft diesem Temari hier«, rief Jahanila verzweifelt in die Richtung, aus der ihr unbekannter Beobachter gesprochen hatte. »Er darf nicht sterben!«
»Er wird sterben,« gab die Stimme ungerührt zurück. »Das ist das Schicksal aller Temari.«
Jahanila stand auf. Sie musterte die weiß schimmernde Wand und versuchte zu erfühlen, wer sich dahinter verbarg, doch es wollte ihr nicht gelingen. »Das mag sein. Aber nicht heute und nicht jetzt! Das Überleben seinen Volkes hängt vielleicht von ihm ab. Habt Ihr nicht einst geschworen, die Temari zu beschützen? Ich fordere Euch auf, diesen Eid zu erfüllen!«
Jahanila hatte kaum ausgesprochen, als die Mauer aus Licht verblasste. Bevor sich ihre Augen an die abnehmende Helligkeit gewöhnen konnten, trat eine Gestalt in einem fließenden, hellblauen Gewand auf sie zu. »Du wagst es, uns in unserem eigenen Heim Forderungen zu stellen?«
»Macht mit mir, was Ihr wollt«, erwiderte Jahanila. »Aber zuvor rettet ihn.«
Jetzt bemerkte sie, dass das Wesen das Aussehen eines hochgewachsenen Menschen mit kurzgeschnittenen pechschwarzen Haaren besaß. Sie fielen glatt herab und glänzten wie lackiert. Seine Gesichtshaut war so bleich, dass die Adern an seinem Hals und seinen Schläfen selbst aus einiger Entfernung schwach dunkel schimmernd zu erkennen waren. Es stimmte also, dass Olárans Leute die Gestalt ihrer Schöpfung angenommen und beibehalten hatten! Der Antara sah kurz auf den reglosen Enris herab, bevor er wieder mit kaltem Blick die beiden Serephin musterte.
»Ist das eine List? Wie konntet ihr überhaupt das Quelor benutzen und hierher gelangen?«
»Ich bin auf Eurer Seite!« entgegnete Jahanila drängend. »Ich werde alles später erklären. Aber jetzt helft ihm – schnell!« Sie deutete auf Alcarasán, der noch immer etwas abseits stand und sich schwer atmend die Brust hielt. »Und lasst ihn dort auf keinen Fall an den Temari heran! Er gehört zu jenen in Vovinadhar, die treu zu den Herren der Ordnung stehen.«
Der Antara hob seine Hand. Sofort erschienen hinter ihm zwei weitere Dunkelelfen. Im Gegensatz zu ihm trugen sie eine Art Rüstungen, ähnlich den Lederrüstungen, die Jahanila an einigen der Temari in Menelon gesehen hatte, aber aus einem anderen Stoff. Ihr graublauer Ton erinnerte an die Farbe des Meeres an einem bewölkten Tag. Die beiden Träger der Rüstungen hätten Zwillinge sein können, so sehr glichen sich ihre Gesichtszüge. Sie stellten sich wortlos zu beiden Seiten von Alcarasán auf, rührten ihn aber nicht an.
Der Dunkelelf, der zuerst aufgetaucht war, kniete sich zu Enris nieder. Als er seine Hand ausstreckte, um ihm den Puls zu fühlen,
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