Runlandsaga - Wolfzeit
mir in der Finsternis. Es war ein grauenhaftes Geräusch. Irgendwann brachte ich es nicht mehr mit dem Menschen in Verbindung, der neben mir lag und mein Schicksal teilte, dem Mann, den ich meinen Freund genannt hatte. Stattdessen wurde es zu der Stimme der gleichgültigen Natur um mich herum, das ebenso wie das Rauschen der See im ständigen Auf und Ab der Wellen oder das Pfeifen des Windes über dem Wasser schon seit ewigen Zeiten erklungen war.«
Erst jetzt sah Daniro seinen Zuhörern wieder direkt in die Augen. Zuletzt kreuzte sich sein Blick mit dem Nerias. Die Voronfrau wich ihm nicht aus. Noch immer war es Enris unmöglich, in ihrem Gesicht zu lesen. Er rechnete jeden Moment damit, dass sie sich auf den Mann stürzen würde, der sie gerade noch mit einer Waffe bedroht hatte. Doch sie starrte ihn an, ohne auch nur einen Muskel zu rühren, und schwieg.
»Wisst ihr, seit dieser Nacht auf einem Floß mitten im Nirgendwo glaube ich nicht mehr daran, dass die Träumende Cyrandith uns irgendetwas gewährt«, sprach Daniro schließlich weiter. »Wenn es sie tatsächlich gibt, dann ist sie bestimmt ebenso gleichgültig wie die Natur, wie die See oder die kalten Sterne. Wenn sie wirklich keine Erfindung von Priestern oder Geschichtenerzählern ist, dann sieht sie das alles in ihrer Schicksalsfestung, aber sie tut nichts, um das Leid von irgendjemandem zu lindern. Cyrandith ist grausam. Sie sieht das alles, aber sie schweigt.«Niemand erwiderte etwas auf Daniros letzte Worte. Als hätte er diese Stille als Zustimmung aufgefasst, nickte der junge Mann kaum merklich. Dann fuhr er fort. »Am nächsten Tag hämmerte die Sonne auf uns herab, dass ich mir gegen Mittag vorkam wie in einem angefeuerten Backofen. Unser Trinkwasser, das wir in der regnerischen Nacht in unseren Stiefeln gesammelt hatte, war inzwischen verbraucht. Jalcar hielt immer noch durch. Er war sogar bei Bewusstsein, aber ich bezweifle, dass er wirklich noch bei Verstand war. Mehr als sein fürchterliches Ächzen vor Schmerzen hatte ich schon länger nicht mehr von ihm gehört. Ich redete ihn aber auch nicht an. Ich hätte vor Hitze und Durst sowieso kaum einen vernünftigen Satz herausgebracht.
Dann riss mir bei dem Versuch, etwas zu essen zu fangen, der Zwirn. Der Fisch, der bereits angebissen hatte, verschwand samt Köder und Angelhaken in der Tiefe. Im selben Augenblick zog sich mein hungriger Magen grollend zusammen, als hätte er ein eigenen Willen, mit dem er wütend gegen meine Unfähigkeit, uns am Leben zu halten, rebellierte. Ich schrie auf, kreischte und tobte und schlug meine Fäuste auf dem Holz des Floßes blutig, wie besessen von ohnmächtiger Enttäuschung.
Irgendwann schnappte ich völlig erschöpft nach Luft. Mein Hals tat mir vom Brüllen weh, meine Fingerknöchel pochten vor Schmerz im Takt zum Rauschen meines Blutes. Da hörte ich hinter mir Jalcar stöhnen. Er hatte während meines Wutanfalls nicht damit ausgesetzt, aber nun erst drang seine Stimme wieder an mein Ohr, bohrte sich ins Innere meines Hirns und zerrte an mir. Das Gejammer machte mich wahnsinnig. Ich mühte mich hier ab, um uns am Leben zu halten, und er gönnte mir nicht einen Moment Ruhe. Natürlich lag es an ihm, dass ich den Fisch und unser Angelzeug verloren hatte. Wie sollte man denn auch achtgeben können, wenn Jalcar einem ständig unter die Nase rieb, wie sehr er litt, wie schlecht es ihm ging! Der Kerl machte mich krank!
Ich fuhr herum und herrschte ihn an, er solle endlich sein verdammtes Maul halten. Die Hitze prügelte auf meinen Kopf ein. Inzwischen sah ich alles nur noch wie durch einen milchigen Schleier. Jalcar nahm mich nicht wahr. Er steckte weiter in seiner Welt aus Schmerzen fest, die er seit dem Angriff des Hais nicht mehr verlassen hatte. Sein Körper krümmte sich auf dem Rücken am Rand des Floßes liegend zusammen, und er schrie gegen das launenhafte Schicksal an, das ihn so übel quälte.
Einem Teil von mir tat er leid.
Aber diesem Teil blieb nichts anderes übrig, als mich hilflos dabei zu beobachten, wie ich nun auf allen Vieren durch den flirrenden Schleier aus Hitze auf meinen stöhnenden Gefährten zukroch. Dieser Teil von mir, der uns beide wie von sicherem, festem Land aus betrachtete, wusste genau, was ich nun tun würde, aber er war zur Hilflosigkeit verdammt. Es war, als ob ein böser Geist auf meiner Schulter sitzen und mir Befehle zuzischen würde, und ich wünsche mir noch heute, dass es so gewesen wäre, dass ich irgendeine
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