Runlandsaga - Wolfzeit
der ihm bisher von ihr bekannt gewesen war.
»Dein Leben sollst du behalten, denn auf meinem Schiff hast du keinen Schaden angerichtet, der als Zoll deinen Tod verlangen würde. Auch aus der Mannschaft werde ich dich nicht verstoßen. Aber wenn wir in Menelon an Land gehen, wirst du an Bord bleiben, solange ich es nicht anders bestimme. Das soll deine Strafe sein.«
»Nein!«, fuhr Daniro auf. »Ich muss runter von diesem Schiff! Ich brauche festen Boden unter meinen Füßen! Versteht ihr denn immer noch nicht?«
»Ich verstehe sehr gut!«, entgegnete Suvare. »Und genau deswegen werde ich dich nicht wegrennen lassen. Du hast auf meiner Tjalk angeheuert und wirst auf ihr bleiben, bis ich etwas anderes sage.«
»Aber, Khor!«, rief Teras. »Was ist, wenn ihn wieder der Wahnsinn überkommt? Wie sollen wir sicher sein, dass er nicht eine Gefahr für uns alle darstellt?«
Suvare schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass wir befürchten müssen, so etwas wie heute Nacht noch einmal zu erleben. Nicht, nachdem Daniro uns alles erzählt hat. Das Feuer mag noch immer heiß unter dem Kessel lodern, aber den Deckel haben wir inzwischen heruntergerissen. – Wie auch immer«, fügte sie schnell hinzu, als sowohl Enris, wie auch der Bootsmann zu einer Erwiderung ansetzten, »ich habe mich entschieden. – Teras, du wirst allen anderen an Bord Bescheid sagen. Niemand soll Daniro zur Rechenschaft ziehen, weder aus meiner Mannschaft, noch aus der Reihe unserer Gäste.« Sie sah Neria warnend an, aber die Miene der Voronfrau blieb weiterhin unbewegt.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, wandte sich Suvare ab und ging zu ihrer Kajüte. Teras war anzumerken, dass sich die Angelegenheit für ihn noch lange nicht erledigt hatte. Dennoch tat er, was Suvare ihm geheißen hatte, und ging unter Deck. Daniro, Enris und Neria blieben zurück.
Das Gesicht des Zimmermanns war kreidebleich. Enris hätte nicht in seiner Haut stecken wollen. Der Kerl war so wild entschlossen gewesen, von Bord zu kommen, dass er dafür sogar eine Geisel genommen hatte. Auch wenn er im Augenblick nicht gefährlich aussah, sondern nur wie ein jämmerliches Häufchen Elend – die Angst vor dem Meer und seiner Gewalt machte ihm immer noch zu schaffen. Das sah man ihm selbst auf zehn Fuß Entfernung an.
Daniro wandte sich mit einer regelrecht hilfesuchenden Miene an Neria. »Ich weiß, dass es keinen Sinn macht, sich für das zu entschuldigen, was ich getan hab«, fing er an.
»Dann lass es«, erwiderte Neria hart. Sie drehte sich um und trat an die Reling, um auf die ruhige Fläche der See, die inzwischen eine hellgraue Farbe angenommen hatte, hinauszublicken. Der Tag war angebrochen, wenn sich die Sonne auch immer noch hinter den grasüberwucherten Dünen der Küste verbarg. Die Totenwache für Arcad hatte ein Ende. Bald würde er dem Meer übergeben werden, wie er es sich gewünscht hatte. Irgendwann im Verlauf dieses noch so neuen Tages würde die Suvare im Hafen von Menelon vor Anker gehen, um Königin Tarighs Hilfe im Kampf gegen die Serephin zu erbitten. Eine Stadt voller fremder Menschen. Leute, wie Daniro, der sie mit einem Dolch bedroht hatte. Und Talháras war fort, hatte sie allein gelassen.
Was sie in dieser Nacht erlebt hatte, war erst der Anfang gewesen. Das hier war nicht mehr ihr sicheres Zuhause.
Was hatte sie sich nur dabei gedacht, den Wald zu verlassen? Hier lauerten hinter jeder Ecke ihres Weges Gefahren. Es war eine Welt, auf die sie sich niemals vorbereitet hatte, eine Welt, die sie nicht verstand, genauso wenig wie den Mann, der sie bedroht hatte.
»Ist alles in Ordnung?« Enris stand neben ihr.
Sie schüttelte langsam den Kopf. Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, ihn aufzufordern, sie allein zu lassen. Doch mit einem Mal ertappte sie sich dabei, dass sie die Gedanken, die ihr durch den Kopf gingen, laut aussprach. Und dass sie hoffte, Enris würde sie verstehen – weil er zu denen gehörte, die Talháras die anderen genannt hatte. Die Schicksalsgemeinschaft, das Dehajár des toten Endar.
»Nichts ist in Ordnung. Dieser ... Daniro hat einen Mann getötet. Warum auch nicht? Der Mann war schwer verletzt und hätte kaum überlebt. Vor allem aber hinderte er Daniro mit seinen Schmerzensschreien daran, alle seine Gedanken auf sein Überleben auszurichten. Es war richtig, ihn zu töten!«
»Was?«, rief Enris fassungslos.
»Daniro ist ein Heuchler, wie die meisten von euch Menschen. Er nimmt Leben, wie es nun einmal der
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