Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Runlandsaga - Wolfzeit

Runlandsaga - Wolfzeit

Titel: Runlandsaga - Wolfzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Gates
Vom Netzwerk:
Entschuldigung dafür anführen könnte, warum ich das tat, was ich tat. Aber ich kann es nicht. Ich war selbst zu diesem bösen Geist geworden. Dem kleinen beobachtenden Teil des Mannes, der ich einmal gewesen war, blieb nichts anderes als zuzusehen.
    Mit einem lauten Schrei ließ ich mich auf Jalcars Körper fallen. Meerwasser schwappte um seinen Kopf. Die Seite des Floßes, auf der wir uns beide befanden, wurde in die Wellen gedrückt. Jalcars Augenlider flatterten, sein Blick schärfte sich. Er sah mich bei vollem Bewusstsein an, als ich nun meine Hände um seinen Hals legte und zudrückte. Seine Arme hoben sich und schlugen gegen meine, aber ich ließ nicht los. Außerdem hatte er kaum mehr Kraft.
    Während ich ihm die Luft abschnürte, schrie ich aus voller Kehle, bis ich glaubte, ein rostiges Messer führe meinen Gaumen hinab. Ich brüllte gegen die Panik in seinem anklagenden Blick an, gegen das Würgen, das seinem Mund entkam, besonders jedoch gegen den Teil von mir, der mich entsetzt anherrschte, was um alles in der Welt ich hier tat. Aber ich machte weiter. Jalcar gab es für mich nicht mehr, nur noch sein fürchterliches Stöhnen, das ich endlich zum Schweigen bringen musste. Ich wollte nicht elend verrecken! Wenn ich diesem Geräusch nur das Maul stopfte, dann würde der Fluch endlich gebrochen werden, dann käme die Rettung! Es gab keinen anderen Weg!
    Kurz vor dem Ende, sein Gesicht war schon dunkel angelaufen, gelang es Jalcar, sich noch einmal aufzubäumen. Sein Oberkörper stemmte sich mir entgegen. Aber ich hielt ihn weiter fest und drückte mit der verbliebenen Kraft meiner Arme gegen ihn an. Die Wucht der Anstrengung ließ ihn seitlich über das Floß hinauskippen. Erst jetzt lösten sich meine Finger von seiner Kehle. Mit einem letzten Röcheln versank er wie ein Stein in den Wellen. Er kam nicht noch einmal hoch. Da ließ ich mich hart auf die Bretter fallen und wälzte mich in die Mitte des Floßes zurück. Endlich herrschte Stille. Ich hatte den Tod aus meiner auf wenige Fuß zusammengeschrumpften Welt verbannt. Es gab wieder Hoffnung.«
    Obwohl Daniro nicht sofort weitersprach, erwiderte diesmal keiner etwas. Suvare und Enris saßen stumm vor dem jungen Mann, Teras und Neria standen etwas abseits, blickten ihn aber nicht weniger gespannt an. Kein Muskel rührte sich in ihren Gesichtern, als Daniro schließlich fortfuhr.
    »Es dauerte noch einmal einen Tag, bis mich schließlich ein Schiff auflas. Einen Tag. Hört sich nicht besonders lange an, nur ein paar Stunden. Aber wenn man halbtot vor Hunger und vor allem vor Durst unter einem gleißenden Himmel dahintreibt, dann sind es einige Stunden in den Tiefen des Abyss. Ein- oder zweimal war ich sogar soweit, mich an den Rand der Bretter zu wälzen, den Kopf ins Wasser zu halten und aus vollen Zügen zu trinken. Zum Glück war ich zwar halb wahnsinnig vor Erschöpfung, aber immer noch so weit bei Sinnen, dass ich das Salzwasser wieder herauswürgte, sobald ich es meine Kehle hinablaufen lassen wollte. Wenigstens etwas Gutes hatte es: Den Kopf in die kalten Wellen zu tauchen machte meinen Geist für wenige Momente fast klar. Jedenfalls klar genug, um mich an all die Schauergeschichten über Schiffbrüchige zu erinnern, die Salzwasser getrunken und damit nur ihren Tod beschleunigt hatten. Dem Tod aber versuchte ich immer noch zu entgehen, wenn ich auch jede Hoffnung, noch gerettet zu werden, inzwischen aufgegeben hatte.
    Ich bekam es nicht einmal richtig mit, wie mich der Walfänger aus Dorsingal fand. Woran ich mich erinnere, sind laute Schreie, Hände, die mich hochhoben, und Segel über mir, die laut im Wind knatterten und das gleißende Licht abschirmten. Mitten in der Nacht wachte ich in einer Koje auf. Den ersten Krug mit Wasser, den ich in meine Hände bekam, erbrach ich sofort wieder. Aber die Männer an Bord waren freundlich und pflegten mich geduldig gesund. Sie fragten mich, ob ich wüsste, was aus meinen Kameraden geworden sei, und ich sagte, ich hätte keine Ahnung. Ich schaffte es, zu lügen, ohne dabei rot zu werden. Jalcar hatte Pech gehabt. Er war mit den anderen untergegangen, möge seine Seele den Weg ins Sommerland finden, so sei es. Auf dem Floß hatte er sich nie befunden. Der Angriff des Hais, seine Schmerzensschreie, dass ich ihn umgebracht hatte, das alles war nur ein verrückter Fiebertraum gewesen. Ich war allein über Bord gegangen, und allein hatte man mich gerettet – mich, den einzigen Überlebenden der Nesvaal .

Weitere Kostenlose Bücher