Runlandsaga - Wolfzeit
Euch? Seid Ihr heute wirklich zufällig und aus eigenem Antrieb zu mir gekommen? Oder hat Euch jemand geschickt? Ich will alles wissen, also sprecht!«
Gersans ernste Miene entspannte sich ein wenig, bekam von ihrer früheren Gelassenheit zurück. »Ihr müsst Euch keine Sorgen machen. Niemand wird Euch etwas tun, das versteht Ihr doch, nicht wahr? Der Trank soll nur dabei helfen, Euch zu entspannen und so gut wie möglich zu erinnern.«
Ein Poltern untermalte die letzten Worte des Händlers. Gersan drehte seinen Kopf. Auch Pándaros bemühte sich, aufzublicken.
Schwere Stiefel traten die Treppenstufen hinab. Der Mann, der in die Küche kam, war nicht besonders groß, aber stämmig. Graue Haare standen ihm so kurz wie die Stoppeln eines abgeernteten Feldes von seinem Kopf ab, in dessen Mitte sich bereits die hell glänzende Haut einer beginnenden Glatze abzeichnete. Auch sein Bart war grau und zu kurzen Stoppeln geschoren. Seine flinken, kleinen Augen bewegten sich von einem der beiden Männer am Tisch zum anderen.
»Wer ist das?«
Der Argwohn in der Stimme des Neuankömmlings war unüberhörbar.
»Ein unvorhergesehener Gast, den ich unseren Malrastrank kosten lassen musste«, antwortete Gersan. »Wie schon erwähnt: unvorhergesehen – aber nicht völlig unerwartet. Er sucht Ranár.«
Der Fremde seufzte hörbar, als er an den Tisch trat, ohne sich auf dem letzten freien Stuhl niederzulassen. »Du sprichst wieder einmal in Rätseln, wie so oft. Heißt das nun, du hast mit seinem Auftauchen gerechnet oder nicht?«
»Ich wusste nie mit Gewissheit, ob die Träumende jemanden auf der Suche nach Ranár hier hereinwehen würde. Aber ich habe mit der Möglichkeit gerechnet.«
»Lass sie aus dem Spiel!«, schnappte der Mann. Nun standen ihm Furcht und Ärger ins Gesicht geschrieben. »Die Herrin des Schicksals ist eine Schlampe, die sich mit jedem ins Bett legt, wenn sie es will – und genauso leicht schneidet sie einem auch im Schlaf die Kehle durch! Es ist besser, sie nicht zu erwähnen!«
Gersan musterte ihn amüsiert. »Ich hätte nicht geahnt, dass du an sie glaubst, mein Freund. Es ist wahr: Lade dir Besuch ins Haus, und schon lernst du deine Nächsten von völlig neuen Seiten kennen.«
Pándaros betrachtete den Neuankömmling, während sein Herz einen heftigen Trommelwirbel begann. Er konnte fühlen, wie es gegen seine Rippen schlug, spürte das Blut in seinen Adern rauschen.
Alle Götter! Die Wirkung dieses verfluchten Tranks fängt jetzt erst richtig an!
Die Züge des fremden Mannes leuchteten im Schein des Herdfeuers. Sie zerflossen in eine Vielzahl züngelnder Flammen, ein brennendes Feuergesicht, das sich ihm unheilvoll näherte. Erschrocken ächzte Pándaros auf und versuchte erneut, sich von dem Stuhl zu erheben, doch seine Beine waren weiterhin wie gelähmt.
»Nun sag endlich, wer der Kerl ist!«, dröhnte die Stimme des Feuergesichts in seinen Ohren.
»Er ist ein T´lar-Priester«, erwiderte Gersan. »Was glaubst du denn, warum er in einer Robe steckt?«
»Wie heißt er?«
»Soweit waren wir noch nicht. Er tauchte vor etwa einer halben Stunde hier auf und fing an, mich nach Ranár auszufragen. Anscheinend hat uns irgendwann jemand zusammen gesehen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dieser Priester derjenige ist, über den sich Ranár Gedanken gemacht hat. Ich hatte gerade angefangen, ihn zu befragen, als du hier hereingeplatzt bist.«
Pándaros hatte den Wortwechsel der beiden Männer verfolgt, während er gleichzeitig in dem verzweifelten Versuch, gegen die Wirkung des Tranks anzukämpfen, seine Lippen aufeinander presste. Er durfte nicht zulassen, dass seine Vorstellungskraft mit ihm durchging. Wenn er erst anfing, den Malrasvisionen nachzugeben, würde er nicht mehr dazu in der Lage sein, den Ausgang aus diesem Haus zu finden und zu entkommen!
Und wie stellst du es dir vor, zu fliehen, selbst wenn du noch Herr deiner Sinne wärst? Du kannst doch nicht einmal aufstehen!
Trotzdem zwang er sich, die gleißende Masse aus Flammen vor sich in das Gesicht zurückzuverwandeln, das er eben noch als das eines Menschenwahrgenommen hatte. Schweiß rann seine Wangen hinab. Er blinzelte, und für einen Moment sah er wieder klar. Die Flammenzungen schrumpften zu glänzenden Flecken auf der Stirn des Mannes, der ihn unwillig anstarrte.
»Der ist schon ziemlich weit weg«, brummte der Fremde. »Stell ihm lieber gleich deine Fragen, bevor er dir ohnmächtig vom Stuhl kippt.«
»Du hast recht.« Gersan
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