Runterschalten
ihren Posten noch, es war eben „ein Kelch an ihr vorüber gegangen“. Das musste nicht mal etwas mit ihr persönlich zu tun haben, das Gleiche war auch schon anderen im Unternehmen passiert. „So eine Firma ist halt keine Gerechtigkeits-Maschine“, sagte sie.
In der nächsten Phase der Krisenbewältigung betrachtete sie ihre Situation von allen Seiten und meisterte gleich den nächsten Perspektivwechsel. Sie stellte fest, dass so ein Einschnitt ja auch etwas Gutes habe: „Endlich komme ich mal zum Nachdenken. Dazu hatte ich bei der Hektik überhaupt keine Gelegenheit mehr.“
Je mehr sie dachte, desto wahrscheinlicher war ihr der Schluss, dass sie mit ihrer bisherigen Karriere hochzufrieden sein konnte. Eigentlich konnte sie es damit „gut sein lassen“.
Und noch eine Erkenntnis drängte sich auf: dass sie ihr Privatleben in den letzten Jahren vollkommen vernachlässigt hatte. Sie hatte keins, mal abgesehen von ein paar Telefonkontakten zu Freundinnen und seltenen Ausflügen mit ihnen. „Ehrlich gesagt, hatte ich mich regelrecht eingegraben. Ich habe die Kontakte mit Kollegen für ausreichend gehalten. Aber das sind ja keine Freundschaften.“
Aus der anfänglichen Wut war Akzeptanz geworden, gepaart mit Dankbarkeit. Heike Escher verzeichnete dankbar, dass sie die Chance hatte, in ihrem Leben etwas zu ändern. Sie verordnete sich selbst ein „Änderungsprogramm“, das damit anfing, dass sie ihre Überstundendrosselte und teilweise sogar schon um fünf Uhr die Arbeit verließ: „Endlich mal nachmittags bummeln gehen – habe ich schon lange nicht mehr gemacht.“ Sie erneuerte ein paar alte Freundschaften und nahm ein altes Hobby wieder auf, den Formationstanz. „Ich komme wieder ganz anders unter Menschen“, sagte sie beim letzten Termin.
Heike Escher hat runtergeschaltet ohne Stellenwechsel, ohne Selbstständigkeit, ohne Teilzeit. Sie hat nach der Nicht-Beförderung ihren überhöhten Arbeitseinsatz auf ein normales Maß runtergefahren. Sie tat das ohne Groll und ohne „Frust“. Es gelang ihr, den ausgebliebenen Karriereschritt nicht als Niederlage zu verbuchen, sondern diesen Einschnitt als Chance und neue Aufgabe zu verstehen.
Endlich hatte sie die Möglichkeit, sich selbst als Menschen mit Bedürfnissen und Inhalten jenseits der Arbeit zu entdecken. – Neuland! Sie hatte ein Privatleben zu leben! Ihr wurde klar, dass sie so auch Perspektiven für eine Lebensphase nach dem Berufsleben antippen und entwickeln konnte.
Die Neuland-Entdeckung hatte wiederum Rückwirkungen auf ihre Arbeit – ihre Mitarbeiter spiegelten ihr zurück, dass sie viel ausgeglichener wirke. Die Arbeit war nicht mehr ganz so wichtig wie früher, ging aber, wie sie verwundert bemerkte, einfacher von der Hand. Sie konnte in kürzerer Zeit dasselbe schaffen wie früher an langen Abenden. Zu den unbekannten Territorien, die ihr die neue Gewichtung in ihrem Leben erschlossen, kam die Entdeckung der Gelassenheit. Es war ein großer Gewinn, der erst möglich wurde, nachdem sie das Erreichte wertschätze.
Piano, piano: Gelassener weitermachen
Das ist die einfachste aller Runterschalt-Lösungen, weil sie keine äußerliche Veränderung fordert, aber zugleich auch eine der schwierigsten: bleiben, wo man ist, aber die Einstellung dazu ändern.
Wenn wir manches gelassener sehen könnten – wäre das nicht die Lösung? Hätten wir dann nicht auch dem Stress das verdiente Schnippchen geschlagen?
Gelassenheit zu erreichen steht bei vielen Menschen auf dem Wunschzettel. Aber wie geht das? Buddhistische Mönche sind gelassen, unter anderem wohl, weil sie wenig besitzen und brauchen. Gelassenheit hat, wie Ironie, mit einem distanzierten Blick auf die Dinge zu tun. Wer gelassen sein will, braucht Abstand. Gelassenheit hat also auch mit etwas „lassen oder loslassen“ zu tun. Auf jeden Fall mit der Entscheidung, bestimmten Angelegenheiten weniger leidenschaftlich zu begegnen, sie einfach „sein“ zu lassen.
Der Gelassene hat Geduld – die Fähigkeit, sich selbst und anderen Zeit zu geben. Möglicherweise erwächst genau aus dieser Haltung ein Zugang zu Möglichkeiten, um die man früher gekämpft hat. Vielleicht bietet man Heike Escher demnächst eine Beförderung an?
Heike Escher hat Gelassenheit kennen und schätzen gelernt. Allerdings geschah das eher zufällig, als Nebenprodukt ihrer „Entdeckungsreise ins Privatleben“.
Sie erlebt ihre Gelassenheit als „Freisein von Unruhe“. Sie kann mit dieser Haltung innere und
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