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Rushdie, Salman

Rushdie, Salman

Titel: Rushdie, Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luka und das Lebensfeuer
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hilfsbereit. «Dies hier,
alles, was du hier siehst, ist nicht, was du vorher gesehen hast. Diese Gasse
ist nicht jene Gasse, dieses Haus nicht jenes Haus, und dieser Daddy ist, aber
das habe ich ja schon erklärt, nicht jener. Würde deine ganze Welt einen
halben Schritt nach rechts rücken, prallte sie mit dieser Welt zusammen. Machte
sie einen halben Schritt nach links ... nun, dem wollen wir im Moment nicht
weiter nachgehen. Siehst du denn nicht, dass es hier viel bunter ist als zu
Hause? Denn dies ... aber das muss ich dir doch bestimmt nicht erklären ...
dies hier, das ist die Welt der Magie.»
    Luka
dachte daran zurück, wie er in der Tür gestolpert war, und ihm fiel das kurze,
aber heftige Schwindelgefühl wieder ein. Hatte er in jenem Moment die Grenze
überquert? Und war er nach rechts oder nach links gestolpert? Bestimmt nach
rechts, oder? Dann musste dies der rechte Weg sein, nicht? Was aber war der
beste Weg für ihn? Hätte er als Linkshänder nicht nach links stolpern müssen?
... Er merkte, dass er keine Ahnung hatte, was er da eigentlich dachte. Warum
war er überhaupt auf einem Weg und nicht einfach auf der Gasse vor seinem
Haus? Wohin führte solch ein Weg, und sollte er wirklich in Erwägung ziehen,
ihm zu folgen? Oder sollte er nicht lieber bloß darüber nachdenken, wie er diesem
unheimlichen Nobodaddy entkommen und einen Weg zurück in die Sicherheit seines
Schlafzimmers finden konnte? All dies Gerede über Magie war ihm einfach zu
viel.
    Natürlich
wusste Luka über die Welt der Magie Bescheid. Solange er sich erinnern konnte,
hatte sein Vater ihm Tag für Tag davon erzählt, und Luka hatte daran geglaubt,
hatte sogar Karten und Bilder davon gemalt - vom Sturzbach der Worte, der in
den See der Weisheit floss, von den Wissensbergen, vom Lebensfeuer und wer weiß
was noch, nur hatte er nicht so daran geglaubt, wie er an Esstische, an Straßen
oder an Magenverstimmungen glaubte. Die Welt der Magie war nicht so real gewesen
wie Liebe, Unglück oder Furcht, höchstens so real wie Geschichten, wenn man sie
gerade las, wie Luftspiegelungen, ehe man ihnen zu nahe kam, oder wie Träume,
während man sie träumte.
    «Ist dies
denn ein Traum?», fragte er sich laut, und der durchsichtige Raschid, der sich
selbst Nobodaddy nannte, nickte langsam auf seine bedächtige Art. «Das würde
die Lage natürlich erklären», erwiderte er zuvorkommend. «Warum findest du es
nicht heraus? Sollte dies tatsächlich ein Traum sein, dann sind Hund und Bär
womöglich auch nicht mehr bloß stumme Tiere. Weißt du, ich kenne nämlich deine
geheimen Fantasien. Du wünschst dir doch, dass sie reden können, nicht? Dass
sie in deiner Sprache mit dir reden und dir ihre Geschichten erzählen. Und ich
bin mir sicher, dass sie ziemlich interessante Geschichten zu erzählen haben.»
    «Woher
wissen Sie das?», fragte Luka schockiert, und wieder kannte er die Antwort,
fast noch ehe er die Frage gestellt hatte. «Ach so, Sie wissen es, weil es mein
Vater weiß. Ich habe einmal mit ihm darüber geredet, und er hat gesagt, er
wolle daraus eine Geschichte machen über einen Hund und einen Bär, die reden
können.»
    «Ganz
recht», erwiderte Nobodaddy ruhig. «Alles, was dein Vater war, das werde ich,
und was er gewusst, gesagt und getan hat, wird nach und nach zu meiner eigenen
Erinnerung. Doch ich sollte mich nicht so sehr in den Vordergrund drängen»,
fuhr er fort, «denn wenn ich mich nicht irre, versuchen deine Freunde dort
gerade, auf sich aufmerksam zu machen.»
    Luka
wandte sich um und sah zu seinem Erstaunen, dass Bär der Hund auf den
Hinterbeinen stand und sich räusperte wie ein Tenor in der Oper. Und dann
begann er zu singen - nicht wie sonst zu bellen, zu jaulen oder zu winseln,
sondern in schlichten, deutlichen Worten zu singen. Er sang mit leicht
ausländischem Akzent, wie Luka bemerkte, fast, als sei er ein Gast aus einem
anderen Land, doch die Worte waren gut zu verstehen, auch wenn die Geschichte,
die er vorbrachte, ein wenig verwirrend klang.
     
    «Ach, ich
bin Barak von den It-Barak», sang Bär,
    «Den
ewigen Hundmenschen aus alter Zeit,
    Entschlüpft
aus eines Zauberhabichts Ei.
    Ein Volk
des Kampfes, der Lieder und der Lieb,
    Das blieb
auf immer unbesiegt.
    Ja, ich
bin Barak von den It-Barak,
    Bin
tausend Jahre alt und älter,
    Aß schwarze
Perlen, freite Weiber,
    Herrschte
mit Locken gleich einem Graf,
    Sang
schwülstig wie ein Himmelsseraph.
     
    Dies ist
das Lied der It-Barak.
    Tausend
Jahre alt und

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