Rushdie, Salman
aussahen, als zögen sie
sich langsam um den Baum des Schreckens und den Jungen zusammen, der darunter,
bewacht von einem sumerischen Donnergott, gefangen war. Näher und immer näher
rückten die Schatten, bildeten eine einzige riesige Faust, die sich um Luka
schloss und jetzt gleich, jeden Moment, das Leben aus ihm herauspressen würde
wie Wasser aus einem Schwamm. «Das war's dann also», dachte er. «Meine Rede hat
nichts gebracht, sie haben mir nicht geglaubt, und das ist nun das Ende.» Er
wünschte sich, er könnte ein letztes Mal Hund und Bär umarmen. Er wünschte
sich, die Menschen, die er liebte, wären bei ihm, um ihm die Hand zu halten.
Er wünschte sich, er könnte sich aus dieser Bredouille fortwünschen. Er
wünschte...
In diesem
Moment begannen die Wissensberge so heftig zu beben, als hüpfte auf ihren
Hängen ein unsichtbarer Koloss auf und ab. Ein Spalt zerriss den Baum des
Schreckens von oben bis unten, sodass er zu Boden stürzte und die
niederkrachenden Äste Luka und den Donnergott nur knapp verfehlten. Ein Ast
traf Mimirs Kopf, sodass er vor Schmerz laut aufjaulte, aber noch viele
weitere Schreie der Qual, Verwirrung und Furcht stiegen aus den Reihen der
Götter und Monster auf. Dann jedoch ereignete sich das Schlimmste aller
furchterregenden Ereignisse: Für Augenblicke - sehr kurze, nur für Bruchteile
von Sekunden - verschwand komplett alles, und Luka,
Bär und Hund, die drei Besucher aus der realen Welt, blieben in einer
grauenvollen, farblosen, lautlosen, bewegungslosen, gesetzlosen, alles-losen Abwesenheit zurück. Dann tauchte die magische Welt wieder auf, doch allen und
jedem darin begann eine schreckliche Erkenntnis zu dämmern: Die Welt der Magie
steckte in Schwierigkeiten. Sie erbebte bis in ihr tiefstes Fundament, ihre
geographische Beschaffenheit wurde unklar, ihre Existenz selbst zu einer
wechselhaften Angelegenheit von An oder Aus. Was, wenn
die A «5 -Momente sich ausdehnten? Was,
wenn sie länger wurden als die An-Zeiten? Was, wenn die An-Zeiten, die Phasen,
in denen die Welt existierte, sich auf Bruchteile von Sekunden verkürzten oder
gar vollständig ausblieben? Was, wenn alles, was der Feuerdieb ihnen gesagt
hatte, der blanken Wahrheit entsprach, an die sie bloß noch nicht glauben
wollten, weil immer noch Fetzen ihres alten göttlichen Ruhmes und Reste ihres
Stolzes von ihren Schultern hingen wie ein zerschlissener Mantel? War dies die
nackte, ungeschminkte Realität? War ihre Existenz an das dahinschwindende Leben
eines kranken, sterbenden Mannes gebunden? Diese Fragen bedrängten sämtliche
Bewohner der magischen Welt, doch durch Lukas aufgewühltes Denken jagte nur
eine einzige, weit entsetzlichere Frage:
Lag
Raschid Khalifa im Sterben?
Anzu, der
Donnerdämon, sank auf die Knie und begann, Luka mit sanfter, trauriger,
mitleiderregender Stimme anzuflehen: « an"/ cd, cot:
_\. ^> SiACD, COT ,0 a .^js\ =1 jeoi\ T > äUCD, w o ^i\ 7) 7) 7)
71 y 71 ^ y —- 7) & v Ti Ratatat war so verängstigt, dass
ihre Stimme zu zittern begann, als sie aus dem Sumerischen übersetzte: «uns, o Herr! Nur, bitte, bitte, Herr, wir wollen nicht bloß Märchen sein. Wir
wollen wieder verehrt werden! Wir wollen ... göttlich bleiben.»)
«Herr? Ach
ja?», dachte Luka. «Also, das nenn ich einen anderen Ton anschlagen!» Hoffnung
wallte in ihm auf und kämpfte gegen die Verzweiflung; er sammelte seine Kräfte
für eine letzte Anstrengung und rief mit aller Macht, die er aufbringen konnte:
«Akzeptiert oder lasst es bleiben. Ein besseres Angebot wird euch nicht gemacht.»
Der Ring
der Dunkelheit hatte aufgehört, sich um ihn zu schließen, und der Zorn der
Götter war verraucht; schließlich wurde ihre Angst so übermächtig, dass die Wut
vollständig verschwand und fürchterlichem Grauen wich. Die Zorneswolken
verflogen, das Tageslicht kehrte zurück, und alle konnten sehen, dass der Riss
im Himmel, durch den sich der Götterschwarm ergossen hatte, zehnmal größer
geworden war; dass sich nun Risse von Horizont zu Horizont über den ganzen
Himmel spannten und dass es auch der Armee mythologischer Gestalten immer
schlechter ging. Sie alterten, bekamen Sprünge, verblassten, ihre Kraft
schwand ebenso wie ihre Zahl, als hätten sie ihren ganzen Lebensmut verloren.
Aphrodite, Hathor, Venus und die übrigen Schönheitsgöttinnen sahen die
verschrumpelte Haut an ihren Armen und Händen
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