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Rushdie, Salman

Rushdie, Salman

Titel: Rushdie, Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luka und das Lebensfeuer
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wären Sie nämlich nicht mehr hier, oder? Falls Sie
nicht gelogen haben, als Sie mir erzählten, was passiert, wenn Ihr Werk getan
ist, denn dann wäre es längst zu dieser Unknall-Sache gekommen, Sie hätten sich
- wie haben Sie das noch genannt - in nichts aufgelöst, aber das wollen Sie ja
nicht, haben Sie gesagt...»
    «Ich würde
nicht mehr existieren», korrigierte Nobodaddy ihn.
«Mittlerweile solltest du diese Vokabel eigentlich kennen. Und, ach, als ich
sagte, dass ich das nicht will, habe ich gelogen. Warum sollte irgendein
Geschöpf nicht das wollen, wofür es geschaffen wurde? Ist man zum Tanzen
geboren, tanzt man. Ist man zum Singen geboren, hockt man nicht rum und hält
den Mund. Und wer geschaffen wurde, eines Menschen Leben zu verschlingen, für
den ist der Moment, in dem er den Job zu Ende bringt und in die Nichtexistenz
übergeht, einfach das Größte, ein absolut befriedigender Höhepunkt, jawohl, die
wahre Ekstase!»
    «Ehrlich
gesagt, das klingt fast, als wären Sie in den Tod verliebt», erwiderte Luka und
begriff im selben Moment, was er da gerade gesagt hatte.
    «Ganz
recht», stimmte ihm Nobodaddy zu. «Endlich hast du es kapiert. Und ich bekenne,
in einem gewissen Maße auch selbstverliebt zu sein. Keine edle Charaktereigenschaft,
zugegeben, aber ich kann nur wiederholen: Ekstase. Erst recht
in einem solchen Fall. Dein Vater hat wirklich mit aller Kraft gegen mich
gekämpft, das solltest du wissen. Mein Kompliment. Anscheinend hat er starke
Gründe, am Leben bleiben zu wollen, und vielleicht bist du einer dieser Gründe.
Jetzt aber liegt meine Hand an seiner Kehle. Und du hast recht: Als ich gesagt
habe, du wärst zu spät gekommen, habe ich schon wieder gelogen. Sieh her.»
    Er hielt
die rechte Hand hoch, und Luka konnte sehen, dass ihm der halbe Mittelfinger
fehlte. «So viel Leben steckt noch in ihm», sagte Nobodaddy. «Während wir
reden, wird er immer weniger, ich aber immer mehr.
    Wer weiß?
Vielleicht bist du ja noch hier, wenn es zu dem großen Ereignis kommt.
Jedenfalls kannst du vergessen, rechtzeitig nach Hause zurückzugelangen, um
deinen Vater zu retten, auch wenn dir das Lebensfeuer im Otterpott um den Hals
hängt. Übrigens meinen Glückwunsch dafür, dass du es bis hierhin geschafft
hast. Level acht! Beachtliche Leistung. Nur vergiss nicht, die Zeit ist jetzt
auf meiner Seite.»
    «Sie sind
wirklich ein ganz mieser Typ, so viel steht jedenfalls fest», sagte Luka. «Was
war ich doch blöd, auf Sie reinzufallen.» Nobodaddy lachte kalt. «Ha, aber
wärst du nicht mitgekommen, hätten wir nicht so viel Spaß gehabt», sagte er.
«Durch dich wurde die Wartezeit viel erträglicher. Dafür meinen herzlichen
Dank.»
    «Für Sie
war es doch nur ein Spiel», rief Luka ihm zu, aber Nobodaddy drohte ihm mit dem
halben Finger. «Nicht doch, nicht doch», tadelte er. «Es war nie nur ein
Spiel. Es ging um Leben und Tod.»
    Hund der
Bär stellte sich auf die Hinterbeine und knurrte: «Ich kann diesen Typen nicht
länger ertragen. Lass mich auf ihn los.» Doch oben auf der Brustwehr war
Nobodaddy außer Hunds Reichweite, und es schien keine Möglichkeit zu geben, an
ihn heranzukommen. In diesem Moment ergriff jedoch mit tiefer, tiefer Stimme
der Titan, der narbenübersäte Alte Knabe höchstpersönlich, das Wort. «Überlasst
ihn mir», sagte er, richtete sich aus seiner knienden Haltung hinter Soraya auf
und wuchs, wuchs und wuchs. Wenn ein Titan sich zu voller Größe erhebt, dann
erzittert das Universum. (Und es versucht den Blick abzuwenden, denn derart
vergrößerte Nacktheit ist viel, viel mehr Nacktheit als normalgroße Nacktheit
und folglich auch schwerer zu übersehen.) Vor langer Zeit hatte sich der Onkel
des Alten Knaben auf diese Weise erhoben und den Himmel selbst zerstört. Es
war zur Schlacht der griechischen Götter gegen die zwölf Titanen gekommen, und
die Erde hatte gebebt, als die Kolosse kämpften und fielen. Der Alte Knabe
aber, Veteran und Held dieses Krieges, der wie alle griechischen Helden und
Altvorderen für Kleider nichts übrighatte, erhob sich nun und wurde so groß,
dass Soraya den fliegenden Teppich in aller Eile auf Maximalgröße ausdehnen
musste, damit sie nicht von den immer noch wachsenden Füßen des Alten Knaben
über Bord gestoßen wurden. Zufrieden registrierte Luka, wie sich Furcht auf
Nobodaddys Gesicht breitmachte, als der Titan die gewaltige Linke ausstreckte,
ihn schnappte und festhielt. «Lass mich los», kreischte Nobodaddy - seine
Stimme

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