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Rushdie, Salman

Rushdie, Salman

Titel: Rushdie, Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luka und das Lebensfeuer
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klang unmenschlich, dachte Luka, eher wie die eines Kobolds, eines
Dämons, jedenfalls stieß er im Moment gerade ein ganz schauriges, unheimliches
Kreischen aus.
    «Gebt mich
frei», quengelte Nobodaddy. «Ich poche auf meine Rechte!»
    Der Alte
Knabe setzte ein Grinsen auf, das so groß wie ein ganzes Stadion war. «Ach,
aber ich habe dich in der Linken», sagte er, «und weißt du, wir Linkshänder
halten zusammen.»
    Mit diesen
Worten holte er so weit aus, wie er nur konnte, um den in seiner Hand
zappelnden und zeternden Nobodaddy hoch, hoch hinauf in den Himmel zu
schleudern, sodass dieses grässliche, betrügerische, Leben aussaugende
Geschöpf mit lautem Gekreisch bis an den Rand der Atmosphäre flog, zur Karman-Linie
und noch darüber hinaus, dorthin, wo die Welt endet und die Schwärze des
Weltalls beginnt.
    «Wir
stecken immer noch fest», nörgelte Hund der Bär, der fand, dass ihm der Titan
mit seiner titanischen Kraftanstrengung ein wenig die Show gestohlen hatte, und
fügte, noch ein bisschen zu laut und auch ein wenig zu wagemutig, hinzu: «Wo
sind denn diese Aalim überhaupt? Sollen sie sich doch zeigen, falls sie nicht
zu viel Schiss vor uns haben.»
    «Sei
vorsichtig mit dem, was du dir wünschst», warf Soraya rasch ein, aber es war
schon zu spät.
     
    *
     
    «Man weiß
nicht», hatte Raschid Khalifa einmal gesagt, «ob die
Aalim tatsächlich körperliche Gestalt besitzen. Möglicherweise haben sie einen
Körper, vielleicht aber nehmen sie körperliche Gestalt auch nur falls nötig an
und bewegen sich zu anderen Zeiten als körperlose Wesenheiten durch den Raum,
denn Zeit ist schließlich überall; es gibt keinen Ort, an dem es kein Gestern gäbe,
an dem nicht im Heute gelebt wird und man nicht auf einen guten nächsten Tag
hofft. Jedenfalls sind die Aalim dafür bekannt, dass sie sich äußerst ungern in
der Öffentlichkeit zeigen und es vorziehen, in aller Stille hinter den
Kulissen zu agieren. Erhascht man dennoch einen Blick auf sie, sind sie meist
wie Mönche in Kapuzengewänder gehüllt. Noch niemand hat je ihre Gesichter
gesehen, und jedermann fürchtet ihr Vorübergehen - ausgenommen einige ganz
besondere Kinder...»
    «Einige
besondere Kinder», erinnerte sich Luka damals laut, «die durch ihre Geburt der
Macht der Zeit trotzen und uns alle wieder jung machen.» Seine Mutter hatte
dies oder etwas Ähnliches als Erste gesagt - das wusste er, weil sie ihm davon
erzählt hatte -, doch waren ihre Worte bald Teil von Raschids unerschöpflichem
Vorrat an großen Geschichten geworden. «Stimmt», hatte Raschid seinem Sohn mit
schamlosem Grinsen gestanden, «das habe ich von deiner Mutter. Vergiss nicht:
Wenn du schon zum Dieb wirst, stiehl nur das Beste.»
    «Tja»,
dachte Luka, der Dieb des Lebensfeuers. «Ich habe deinen Rat befolgt, Dad, aber
sieh selbst, was ich gestohlen habe und in welche Lage mich das gebracht hat.»
     
    Die drei
Kapuzengestalten, die auf der Brustwehr der Wolkenburg Baadal-Garh standen,
waren weder groß noch sonderlich imposant. Ihre Gesichter blieben unsichtbar,
und sie verschränkten die Arme, als wiegten sie darin ein Baby. Sie sagten
nichts, aber das brauchten sie auch nicht. Sorayas Miene und Kojotes Gewimmer - Madre de Dios, war ich jetzt
nicht auf diesem Teppich in der Luft, ich nahm die Beine in die Hand und suchte
das Weite - sowie die schlotternden Elefantenvögel - «Okay,
vielleicht wollen wir doch nichts mehr tun! Vielleicht
wollen wir lieber weiterleben und uns bloß erinnern, ist schließlich auch unsere
Aufgabe!» -, all dies machte nur zu deutlich, dass das bloße Erscheinen der
drei Gestalten blankes Entsetzen bei den Bewohnern der magischen Welt auslöste.
Selbst der graue Alte Knabe, der große Titan höchstselbst, wurde sichtlich
nervös. Luka wusste, dass sie voller Angst an Schnüffelheim dachten, daran, auf
immer in soliden Eisblöcken gefangen zu sein. Oder sie fürchteten sich vor
Leber fressenden Vögeln. «Hmmm», dachte er, «allem Anschein nach sind unsere
magischen Freunde in dieser Lage keine allzu große Hilfe. Also ist jetzt wohl
das Team aus der echten Welt gefragt.» In diesem Moment ergriffen die Aalim
gleichzeitig das Wort, und es ertönten drei tiefe, schaurige Stimmen, deren
dreifache Kälte sie wie drei stahlharte, unbesiegbare Klingen erschauern ließ.
Selbst die tapfere Soraya erbebte bei ihrem Klang. «Ich hätte nie gedacht, dass
ich mir einmal die Stimmen der Zeit anhören muss», rief sie und presste die
Hände auf die

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