Rushdie Salman
Khanzada. Sie würde den König erkennen.
In ihrem Traum war eine Frau vorgekommen, die nur
von hin-ten zu sehen gewesen war, eine Frau mit langem,
gelbem, offen auf die Schultern fallendem Haar, die vor
dem Herrscher saß, redete und ein langes Gewand aus
bunten Lederflicken trug. Außerdem befand sich im Gebäude noch eine weitere Frau, die nie das Sonnenlicht
sah, die wie ein Schatten durch die Palastkorridore wandelte und deren Bild mal schwächer wurde, mal stärker,
dann wieder schwächer. Dieser Teil des Traumes blieb
ihr unklar.
Qara Köz kannte sich aus mit dem Unterdrücken von
Gefühlen. Seit sie in die Privatgemächer von Lorenzo II.
gebracht worden war, hatte sie sich keine Gefühle mehr
erlaubt. Er hatte getan, was er tun wollte, und sie hatte
ebenso kaltblütig ihre Absicht in die Tat umgesetzt. Nach
ihrer Rückkehr in den Palazzo Cocchi del Nero blieb sie
ruhig und gefasst, während Spiegel aufgeregt hin und her
huschte, um einige cassoni zu packen, jene großen Truhen, in denen Frauen gewöhnlich ihre Aussteuer verwahrten. Sie wollte alles für eine rasche Abreise vorbereiten, auch wenn ihre Herrin offenbar fest entschlossen
war zu bleiben. Qara Köz wartete im grand salon am offenen Fenster und ließ sich von einer leichten Brise das
Stadtgeschwätz zutragen. Es dauerte nicht lange, bis sie
jenes Wort vernahm, von dem sie gewusst hatte, dass es
ihr zu Ohren kommen würde, das Wort, das es für sie zu
unsicher machte, noch länger zu bleiben. Dennoch dachte
sie nicht an Aufbruch. Hexe. Sie hat ihn verhext. Er lag
bei der Hexe, wurde krank und starb.
Vorher ist er nicht krank gewesen. Hexerei. Sie hat ihn
mit des Teufels Krankheit angesteckt. Hexe. Hexe. Hexe.
Lorenzo II. war schon tot, als die Miliz von ihrem Sieg
bei Cisano Bergamasco zurückkehrte, ordentlich in Reih
und Glied trotz der Bestürzung, für die der mitten in der
Schlacht unternommene Mordversuch des Serben Konstantin an General Argalia, ihrem gran condottiere, unter
den Soldaten gesorgt hatte. Gemeinsam mit sechs weiteren Janitscharen, bewaffnet mit Luntenschlossflinten,
Piken und Schwertern, hatte Konstantin feige von hinten
angegriffen. Die erste Kugel traf Argalia in die Schulter
und warf ihn aus dem Sattel, was ihm das Leben rettete,
da der Kommandant am Boden von Pferden umringt war
und die Verräter nicht zu ihm vordringen konnten. Die
drei Schweizer Riesen kehrten sich von dem Feind vor
ihnen ab, um sich den Verrätern in ihrem Rücken zuzuwenden, und nach heftigem Nahkampf wurde die Rebellion niedergeschlagen. Der Serbe Konstantin war tot, eine
Schweizer Pike steckte in seinem Herzen, doch Botho
hatte ebenfalls das Leben verloren. Bei Nachteinbruch
war die Schlacht gegen die Franzosen gewonnen, aber
der Sieg bereitete Argalia keine Freude. Von seiner ursprünglichen Mannschaft lebten nur noch siebzig Mann.
Als sie sich der Stadt näherten, sahen sie überall Flammen auflodern wie damals am Tag der Papstwahl, und
Argalia schickte einen Reiter voraus, der Näheres in Erfahrung bringen sollte. Bei seiner Rückkehr meldete der
Kundschafter, dass der Herzog gestorben sei und die führerlosen Bürger Qara Köz vorwarfen, sie habe ihren
Herrscher mit einem mächtigen Zauber verhext, der seinen Leib wie ein hungriges Tier zerfressen habe, angefangen bei den Genitalien und von dort aus sich in alle
Richtungen ausbreitend. Argalia wies Otho an, einen der
beiden noch lebenden, untröstlichen Schweizer Brüder,
die Miliz im Eilschritt zurück in die Kasernen zu führen.
Darauf sammelte er Clotho und die verbliebenen Janitscharen um sich, achtete nicht weiter auf seinen verwundeten rechten Arm und galoppierte davon wie der Wind.
Und es wehte ein mächtiger Wind in dieser Nacht! Sie
sahen, wie er Olivenbäume ausriss, wie er Eichen beiseitefegte, als wären sie kleine Schösslinge, wie er Walnussbäume, Kirschbäume und Erlen entwurzelte, sodass
die Männer meinten, um sie herum flöge ein Wald durch
die Luft, während sie im Galopp dahinpreschten; und als
sie sich der Stadt näherten, hörten sie einen großen Tumult, wie ihn nur das Volk von Florenz zu veranstalten
weiß. Doch dies war kein Freudentumult, vielmehr
schien es, als hätte sich jeder Bewohner der Stadt in einen Werwolf verwandelt und heulte nun den Mond an.
Was für ein kurzer Weg von Zauberin zu Hexe. Gestern
noch war sie die inoffizielle Schutzheilige der Stadt gewesen, jetzt sam-melte sich der Mob vor ihrem Haus.
«Die
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