Rushdie Salman
der Papst «Angelica» zur mordlüsternen Hure erklärt; er sandte einen Kardinal aus, der das Kommando
übernehmen und dieser rasenden Hexe Einhalt gebieten
sollte. Noch war die Erinnerung daran nicht verblasst,
wie die drei Anführer der Jammerer - Girolamo Savonarola, Domenico Buonvicini und Silvestro Maruffi - auf
der Piazza della Signoria verbrannt worden waren, und es
gab den ein oder anderen in der Menge, der es kaum erwarten konnte, den Gestank brennenden Weiberfleisches
zu riechen. Doch Ungeduld gehört zur Natur des Mobs.
Gegen Mitternacht hatte sich die Menschenmenge verdreifacht, und die Stimmung wurde gewalttätig. Steine
flogen auf den Palast Cocchi del Nero. Zwar hielt die
Phalanx der Janitscharen unter Führung des Schweizers
Clotho noch das Tor, doch sogar Janitscharen werden
müde, und manch einer von ihnen musste sich um seine
Wunden kümmern. In den frühen Morgenstunden dann
erreichten den tobenden Mob fatale Neuigkeiten. Angestachelt von unbestätigten Berichten über den päpstlichen
Erlass wider die Hexe Angelica, schloss sich die florentinische Miliz den aufgebrachten Massen an und marschierte in voller Bewaffnung zur Via Porta Rossa. Als
Clotho dies hörte, wusste er, dass jetzt all seine drei Brüder tot waren, folglich sagte er sich, er sei nun bereit, die
Dinge zu ihrem Ende zu bringen.
«Für die Schweizer», rief er und stürzte sich mit aller
Macht auf die Menge, schwang in der einen Hand ein
Schwert, in der anderen eine mit eisernen Dornen bestückte Kugel an einer Kette. Seine Janitscharen sahen
ihm erstaunt nach, da die Menschen in der Menge kaum
Gefährlicheres mit sich führten als Stöcke und Steine,
doch Clotho war nicht aufzuhalten. Die Mordlust hatte
ihn gepackt. Menschen stürzten unter die Hufe seines
Pferdes und wurden zu Tode getrampelt. Die Menge war
außer sich vor Wut und Angst, und anfangs wichen alle
vor dem irren AlbinoRiesen auf seinem Pferd zurück.
Dann folgte ein seltsamer Augenblick, ein Augenblick
jener Art, wie er das Schicksal von Nationen bestimmt,
denn wenn eine Menge die Angst vor einer Armee verliert, ändert sich die Welt. Mit einem Mal wich niemand
mehr zurück, und im selben Moment wusste Clotho, der
auf seinem Pferd gerade das Schwert zum Schlag erhoben hatte, dass es um ihn geschehen war. «Janitscharen
zu mir», brüllte er, doch da brandete die Menge wie eine
Flut heran, tausend und abertausend kreischende Stimmen, grabschende Hände und hämmernde Fäuste, ein
Steinregen ging auf die Soldaten nieder, Männer sprangen sie wie Katzen an, zerrten sie vom Pferd, starben
unter den Hieben der Krieger, andere drängten dennoch
weiter vor, krallten sich fest, zogen, klammerten, rissen,
bis sie alle Soldaten von ihren Pferden geholt hatten,
doch immer weiter voran trampelte die Menge, die erdrückende Macht der angeschwollenen, anschwellenden
Menge, und die ganze Welt war Blut.
Noch ehe die Miliz eintraf und die Menge sich wie ein
Meer teilte, um die bewaffneten Männer durchzulassen,
gab es vor dem Palazzo Cocchi del Nero keine Janitscharen mehr; und mit den Äxten der gefallenen Krieger hieb
die Menge auf die drei großen Holztore des Palastes ein.
Im Hof hinter diesen Toren stiegen Argalia, der Türke,
und die ihm verbliebenen Kämpen in voller Kriegsrüstung auf ihre Pferde, um zum letzten Gefecht anzutreten.
Es gibt keine größere Schande, als durch die Hand jener
Männer zu sterben, die man im Krieg angeführt hat,
dachte Argalia, aber wenigstens sterben meine ältesten
Gefährten an meiner Seite, und darin liegt doch auch ein
wenig Ehre. Dann vergaß er alle Fragen der Schande und
Ehre, da Qara Köz aufbrach und es Zeit für letzte Worte
wurde.
«Zum Glück ist der Mob nicht besonders schlau», sagte
sie, «sonst hätten Ago und Spiegel nicht durch die Hintertür auf die Gasse entweichen können. Und es ist ein
Glück, dass ich auf den Rat Eures Freundes Niccolo gehört habe, denn sonst gäbe es keinen Plan, und niemand
würde mit leeren Weinfässern auf uns warten, in denen
wir uns verstecken können, niemand hätte ei-nen Wagen
und frische Pferde besorgt, um uns fortzubringen.»
«Am Anfang waren drei Freunde», sagte Argalia, der
Türke, «Antonio Argalia, Niccolo und Ago
Vespucci. Und auch am Ende waren es drei. Il Machia
wartet mit noch schnelleren Pferden auf Euch. Geht
jetzt.» Das Fieber hatte ihn gepackt, der Wundschmerz
war groß. Er begann zu zittern. Das Ende war nicht
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